Das Haus im Moor
und keine Wohnung. Das Wohnzimmer hatte die gleiche Größe wie zehntausend andere in der Stadt, die Möbel konnten in jedem Schaufenster begutachtet werden. Es war genau das Gegenteil von Constances Wohnraum, aber sie hatte sich hier immer zu Hause gefühlt, vielleicht, weil Millie und Harry ihr stets das Gefühl gaben, ganz besonders willkommen zu sein.
Harry hatte sich sehr über die guten Nachrichten gefreut. Trotzdem wußte Constance, daß Jim später sagen würde, daß Harry nur eine gute Miene gemacht hätte, es darunter jedoch brodeln würde.
Beim Tee hatte Harry gelacht und Witze darüber gemacht, was Jim wohl tun würde, wenn sein Buch als Taschenbuch herauskäme und wie das Erste verfilmt würde. Ein Comeback nach Jahren in der Wildnis. Constance wußte, daß Jim Harrys Vergleich nicht gefallen hatte. Er zwang sich aber, zu lächeln.
Plötzlich sprang die Tür auf, und Ada stürmte in den Raum. Sie warf ihre Handtasche auf die Anrichte, riß sich Mantel und Mütze vom Leib und begrüßte alle mit hoher, kichernder Stimme: »Schön! Die Versammlung der Sippe! Hallo, Onkel. Hallo, Tante Connie. Oh! Hallo, großer Junge.« Sie grüßte Peter wie ein alter Soldat mit der Hand an der Braue, dann wuschelte sie ihrem Vater durch die Haare, sagte: »Hallo, Liebe meines Lebens«, und folgte ihrer Mutter in die Küche.
»Ich geb dir gleich ›Liebe meines Lebens‹ …« Aber es schwang Stolz in Harrys Stimme mit, und nur mit vorgetäuscht strengem Gesichtsausdrucks sagte er: »Das ist ein Mädchen, nicht wahr?«
»Was gibt’s zu essen?« Adas Stimme war aus der Küche zu hören, und Harry seufzte: »Oh, noch einmal jung sein – bei den Möglichkeiten heutzutage!«
»Wo arbeitet sie jetzt?« fragte Jim, aber bevor Harry antworten konnte, steckte Ada den Kopf durch die Tür und rief: »Bei Woollard, Onkel. Aber nicht lange, das sage ich dir.«
Als ihr Vater und Jim lachten, verschwand ihr Kopf, aber kurz darauf erschien sie schon wieder im Zimmer. Sie knallte ein Tablett auf den Tisch, setzte sich, schob ein Stück Schinken in den Mund und sagte: »Alle Frauen über dreißig sollten erschossen werden. Was meinst du, Onkel?«
Jim zögerte einen Moment, bevor er antwortete: »Da stimme ich dir zu.« Dann warf er einen Blick zu Constance hinüber und lächelte sie schief und irgendwie verschämt an, als ob er sich entschuldigen wollte.
»Ehrlich?« Ada kaute mit vollem Mund, schluckte und fügte dann hinzu: »Diese Miss Nesbit ist so verdammt kultiviert, die Abteilungsleiterin, weißt du? Sie redet so« – sie spitzte ihre Lippen – »›Miss Stapleton, ist Ihnen eigentlich bewußt, daß Sie im Dienst sind und ein Kunde wartet? Los, machen Sie schon …‹ Mann! Das ist wirklich eine alte Ziege. Da muß ich kotzen …«
»Ada! So reden wir hier nicht!«
»Ach, Mam, was ist schon dabei? Nichts. Jedenfalls ist es genau so, Onkel.« Sie beugte sich feixend vor. Dann richtete sie sich auf, sah von Jim zu Constance, dann zu Peter, und fragte: »Irgendein besonderer Grund für euren Besuch? Nicht daß ich ungastlich sein will, ich frag nur.«
»Also, es gibt zwei Gründe.« Ihr Vater nickte ihr zu. »Dein Onkel hat ein weiteres Buch verkaufen können. Ich meine, es wird erscheinen.«
»Oh! Das ist schön für dich, Onkel!« Ada sprang auf Jims Knie, schlang die Arme um seinen Hals und küßte ihn. Es hätte kindlich wirken können, aber Ada war achtzehn, und keine ihrer Handlungen war kindlich.
Constances Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, als sie beobachtete, wie Jim seine Nichte umfing und er ihren Kuß erwiderte.
Peters Stimme war schneidend, als er den zweiten Grund für ihren Besuch nannte: »Das ist aber noch nicht alles. Mutter hat das Haus da draußen in der Wildnis gekauft, das Tante Millie und Onkel Harry letztes Wochenende gesehen haben.«
Ada sah ihn an. »Mach keine Witze!« sagte sie. »Als Wochenendhäuschen?« Die letzte Frage richtete sich an Constance, und sie antwortete: »Also, eigentlich nicht, wir werden den größten Teil des Jahres dort wohnen.«
»Aber ich dachte, es wäre am Ende der Welt.«
»Ja, das ist es auch.«
Ada sah Constance einen Augenblick lang schweigend an. Dann zuckte sie die Achseln, setzte sich wieder an den Tisch und aß weiter. Ihr Schweigen sprach Bände. Für sie war jeder, der es vorzog, auf dem Land zu wohnen, irrsinnig.
Die Unterhaltung schleppte sich jetzt gezwungen dahin. Erst als Ada aufgegessen und ihren Teller beiseite geschoben hatte, wandte
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