Das Haus in den Wolken
Ziegelstaub riechen und Gestank â vermutlich war ein Kanalisationsschacht getroffen worden, dachte er.
Sara zitterte. »Dir ist nichts passiert«, murmelte er und strich ihr übers Haar. Seine Stimme klang gedämpft, in seinen Ohren sirrte es.
Er hörte sie ï¬Ã¼stern: »Geht es dir gut, Edward?«
»Ja, ich glaube schon. Und dir?«
»Ja.«
Sie traten voneinander zurück. Sara war aschfahl im Gesicht. Eine graue Staubwolke hing in der Luft. Durch ein Meer von Glasscherben wateten sie bis zum Eingang der U -Bahn-Station, wo sie sich trennten. Er sah ihr hinterher, bis er sie aus den Augen verlor. Erst da fasste er sich mit der Hand an den Hinterkopf und merkte, dass er blutete. Herumï¬iegende Glasscherben mussten ihn getroffen haben â bis jetzt hatte er nicht einmal den Schmerz gespürt.
29. Dezember, ein eiskalter Winterabend. Nach einer Kampfpause über Weihnachten kehrte die deutsche Luftwaffe zurück, diesmal, um das Geschäftsviertel von London zu bombardieren. Das dumpfe Brummen der Bomber am Himmel, dann ein gespenstischer weiÃer Lichtschein und grünlich weiÃe Flammen, wenn die Brandbomben Häuser, Büros, Fabriken, Kirchen trafen. Vom Wind angefacht, gerieten die Feuer bald auÃer Kontrolle. Flammen loderten aus Lagerhäusern, in denen Farben und Wachse gelagert waren, in die Höhe und griffen dann auf die schmalen Durchgänge und engen Innenhöfe über. Die Hitze wurde so intensiv, dass Gebäude von selbst in Brand gerieten.
In Dächern und Galerien der St.-Pauls-Kathedrale waren Brandbomben gelandet. Freiwillige Feuerwehrhelfer â Mitglieder des Königlich-Britischen Instituts für Architektur, die die Konstruktion der Kathedrale kannten â löschten die Feuer mit Eimern voll Sand und Kolbenpumpen. Dann ein Glühen, ganz oben in der Kuppel. Eine Brandbombe hatte sich in den äuÃersten Mantel der Kathedrale gebohrt. Vom Dach tropfte schmelzendes Blei herab: Der ganze Bau der groÃartigen Kuppel â Wahrzeichen von Londons Entschlossenheit, den Blitz zu überleben â war bedroht. Und dann das Wunder: Als ein Feuerwehrhelfer sich mit einer Kolbenpumpe vorsichtig über die Holzbalken der Kuppel vorarbeitete, brannte sich die Brandbombe durch das Holz und ï¬el auf die Steingalerie, wo sie keinen Schaden mehr anrichten konnte.
Am nächsten Tag war die Luft immer noch eiskalt, doch wenn man sich dem Geschäftsviertel näherte, spürte man die Hitze. Philip, der über Nacht in London geblieben war, wollte nur noch weg, fühlte sich ausgelaugt. Immer noch brannte es überall, auch wenn die Feuer mittlerweile kleiner wurden. Ganze StraÃenzüge waren mit Seilen abgesperrt, und vereinzelt stehen gebliebene Wände ragten wie schwarze Zähne in die Luft.
Die Teeverpackungsfabrik war in Moorgate. Oder besser, war in Moorgate gewesen . Moorgate war jetzt eine Wüstenei aus ruÃigen Holzbalken und schwarz verbrannten Ziegeln, die von freiwilligen Helfern und Feuerwehrleuten auf der Suche nach Toten durchkämmt wurde. Philip kam an den Ãberresten eines Bunkers vorbei, in dem die darin Schutz suchenden Menschen eingeschlossen worden waren. Wenn man einatmete, hatte man ein seltsam staubiges Gefühl in der Lunge, und Philip fragte sich, was er da wohl einatmete â Asche? Asche wovon?
Da entdeckte er plötzlich zwischen den Arbeitern und Schaulustigen, die in dem Trümmerfeld hin und her liefen, eine vertraute Gestalt â sein Vater, groà und breitschultrig in seinem schweren Mantel. Philip überlegte, ob er nicht besser gehen sollte, doch er überquerte die StraÃe. »Man kann es kaum fassen, Dad.«
Sein Vater blickte ihn ï¬nster an.
»Wie schlimm ist es?«
Richard breitete die Arme aus. »Die Fabrik ist zerstört. Sie lassen mich nicht nahe genug heran, um es mir selbst anzusehen. Aber sie sagen, es ist nichts übrig.« Sein Blick wanderte zu einem Trümmerhaufen, dann zu einem Feuerwehrwagen. Er wirkte schockiert, müde, alt. »Es ist nur das Gebäude. Gott sei Dank war keiner mehr drin.«
»Man bekommt eine ganz staubige Kehle, nicht wahr? Wollen wir nicht etwas trinken gehen, Dad?«
»Keine Zeit.«
Philip spürte einen Anï¬ug von Wut. Unversöhnlicher alter Mistkerl.
Dann fügte Richard hinzu: »Ich habe zu viel zu tun. All der Papierkram, du weiÃt ja.«
Eine Bemerkung, die fast
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