Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
war, wo das Herz wohnte.
Bevor sie erneut trüben Gedanken nachhängen konnte, machte Pauline kehrt und begab sich zurück in die Pension. Wenn sie tatsächlich an der Soiree teilnehmen wollte, musste sie ihr hübsches braunes Kleid heraushängen und die Wirtin bitten, es aufbügeln zu lassen.
***
Nach seinem Gespräch mit Frieda hatte Julius das Anwesen der Oppenheims gleich wieder verlassen und war zu seiner Fabrik gefahren. Heute wurden neue Stoffe zur Auslieferung vorbereitet, die er immer persönlich überwachte. Glücklicherweise konnte er weiterhin ausgezeichnete Qualität garantieren und in Kürze mit den Zahlungen seiner Kunden rechnen. Diese waren stets zuverlässig – ein Glücksfall, wie er wusste. Dadurch entspannte sich die Lage zwar nur so weit, dass die Löhne für seine Arbeiter einen weiteren Monat oder zwei gesichert waren, aber selbst eine winzige gute Nachricht war besser als nichts. Der Detektiv, den er auf die Angelegenheit mit Lungenberg angesetzt hatte, würde ihm am kommenden Montag Bericht erstatten. Wie er das bevorstehende Wochenende überstehen sollte, wusste Julius nicht. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt; jetzt hing alles von Frieda ab.
Pünktlich um vier Uhr verließ er das Fabrikgelände wieder und machte sich auf den Heimweg. In der Löwengasse wurde er bereits von seiner Mutter erwartet, die mit den Kindern im Wohnzimmer saß und aus einem Buch mit Heldensagen vorlas. Als sie seiner ansichtig wurde, schickte sie Ricarda und Peter sogleich aus dem Raum. Die beiden gehorchten erstaunlich schnell und ohne zu protestieren. Julius fragte sich, was das wohl zu bedeuten haben mochte.
Er ahnte, dass seine Mutter noch immer verärgert war, und schloss sorgsam die Tür, bevor er das Gespräch mit ihr suchte. Mit einer Handbewegung forderte sie ihn auf, sich zu setzen.
«Ich nehme an, du hast heute die Familie Oppenheim aufgesucht», begann sie ohne weitere Einleitung.
«Das habe ich», bestätigte er.
Sie beugte sich ungeduldig vor. «Und wie ist dieses Treffen ausgegangen?»
«Ich habe getan, was Pauline von mir verlangt hat», sagte er, ohne eine Miene zu verziehen.
Annette erhob sich und ging erregt auf und ab. «Frieda Oppenheim wird also deine Frau?»
Julius hob die Schultern. «Falls sie sich damit abfinden kann, dass ich eine andere liebe, und sie sich nicht an der Gewissheit stört, dass sie immer nur zweite Wahl sein wird.»
«Du hast es ihr erzählt?»
«Hätte ich schweigen und sie damit belügen sollen?»
Annette schüttelte milde den Kopf. «Das würde dir nicht ähnlich sehen. Und was hat sie dazu gesagt?»
«Sie war ziemlich erschüttert. Eine Antwort habe ich nicht von ihr verlangt. Sie soll erst einmal über die Angelegenheit nachdenken.»
«Und wenn ihr Vater sie zwingt, deinen Antrag anzunehmen?»
«Ich glaube nicht, dass er das tun wird», antwortete Julius. «Falls er es doch versuchen sollte, wird er feststellen, dass es seinem Ruf nicht guttun wird.»
Annette betrachtete ihren Sohn nachdenklich. «Du gräbst dir dein eigenes Grab.»
Julius fuhr sich durch die Haare. «Ich habe klein angefangen und eine Firma aufgebaut. Wahrscheinlich würde mir das auch ein zweites Mal gelingen. Aber ich kann und werde mich nicht meiner Pflicht entziehen, Mutter.»
«Natürlich nicht.» Annette lächelte verhalten. «Alles andere hätte mich sehr überrascht. Aber um eines bitte ich dich, mein lieber Sohn.»
«So. Um was denn?»
«Sprich in meiner Gegenwart nicht von Pflicht, wenn du Liebe meinst. Ich bin nicht von gestern, und ich kenne das Gefühl nur zu gut, denn ich habe es deinem Vater von ganzem Herzen entgegengebracht. Du ähnelst ihm sehr, Julius, und ich bin sicher, er wäre stolz auf dich.»
«Stolz, dass ich die Fabrik, die wir gemeinsam aufgebaut haben, vermutlich bald verlieren werde? Wegen einer Frau?»
«Nein, dass du dich für den rechten Weg entschieden hast. Obwohl es nicht der einfachere sein wird.» Sie wollte noch etwas hinzufügen, doch in diesem Moment hörten sie ein lautes Klopfen an der Haustür. Augenblicke später erschien der Hausdiener im Wohnzimmer.
«Entschuldigen Sie die Störung, gnädiger Herr. Fräulein Oppenheim wünscht Sie zu sprechen.»
«Oha.» Annette sah ihren Sohn mit hochgezogenen Augenbrauen an. «Dann will ich euch nicht stören und werde …»
«Bleiben Sie ruhig», sagte Frieda, die hinter Jakob den Raum betreten hatte. «Ich gehe davon aus, dass Sie über die Ereignisse der letzten Tage im Bilde sind,
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