Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
nicht wahr! Und so charmant. Immerzu macht er mir Komplimente.» Christine verdrehte schwärmerisch die Augen.
«Sie haben ihn sehr gern», stellte Pauline lächelnd fest.
Christine hielt für einen Moment erstaunt inne. «Ja, natürlich. Mama und Papa sagen, er ist der beste Mann für mich. Wie könnte ich ihn da nicht mögen? Obwohl Papa meinte, er könnte ruhig noch ein paar Jahre älter sein, damit er sich auch ganz gewiss die Hörner abgestoßen hat. Was auch immer das heißen mag. Aber Mama meinte, Elmar sei mit seinen sechsundzwanzig Jahren genau richtig für mich.» Sie legte den Spiegel zurück auf die Kommode. «Auf jeden Fall werde ich heute Abend nur die schönsten Musikstücke vorspielen. Und Mama hat mir eine Liste von Liedern genannt, die ich singen soll. Es sind ein paar schwierige Stücke dabei. Hoffentlich verpatze ich die nicht.»
«Ganz bestimmt nicht, Fräulein Christine. Sie singen ganz ausgezeichnet. Sie müssen nur daran denken, tief aus dem Bauch heraus zu atmen, gerade bei den hohen Tönen.»
Verblüfft drehte das Mädchen sich zu Pauline um. «Woher kennst du dich denn mit Gesang aus?»
Pauline bückte sich, um die Haarnadeln aufzuheben, die ihr bei Christines unvermittelter Bewegung aus der Hand gefallen waren. «Ich habe früher selbst ganz gerne gesungen, gnädiges Fräulein.»
«Ach ja?» Christine starrte sie ungläubig an. «Kannst du etwa auch ein Instrument spielen?»
Verlegen biss sich Pauline auf die Lippen. Hätte sie doch bloß nicht davon angefangen! Doch lügen wollte sie nicht. «Ich spiele ein wenig Pianoforte.»
«Aber wie kommt es, dass eine einfache Magd so etwas gelernt hat?» Christine schien das nicht aus dem Kopf zu gehen.
Pauline seufzte. «Ich war nicht immer eine einfache Magd, Fräulein Christine. Bevor ich hier anfing, war ich Gouvernante bei einer angesehenen Familie.»
«Und warum bist du das jetzt nicht mehr?» Es war nur allzu deutlich, dass Christine ihr nicht glaubte.
«Ich musste die Stelle wegen … eines Missverständnisses aufgeben.» Pauline wurde immer unwohler zumute.
«Wieso hast du dann keine Anstellung bei einer anderen Familie gefunden?»
«So einfach ist das leider nicht. Ohne Referenzen nimmt mich niemand.» Pauline griff nach dem Brenneisen. «Halten Sie nun bitte ganz still, Fräulein Christine, damit ich Sie nicht versehentlich mit dem Eisen verbrenne.»
Christine gehorchte, doch es war ihr anzumerken, dass das Thema für sie noch nicht beendet war. Einige Augenblicke später begann sie denn auch wieder: «Ich glaube nicht, dass du Gouvernante gewesen bist, Pauline. Keine Familie, die etwas auf sich hält, würde eine gute Gouvernante ohne Referenzen oder eine Empfehlung an eine andere Familie auf die Straße setzen.»
Wenn du wüsstest, dachte Pauline und schwieg. Christines nächste Worte ließen sie erschrocken zusammenzucken.
«Ich finde es gar nicht gut, dass du mich anlügst, Pauline. Das werde ich Mama sagen.»
«Aber ich habe nicht gelogen, Fräulein Christine!»
«Natürlich hast du! Oder hast du eben nicht behauptet, du wärest eine Gouvernante gewesen und könntest singen und auf dem Pianoforte spielen?»
«Aber das ist die Wahrheit», protestierte Pauline schwach.
Christine verschränkte die Arme vor der Brust und schwieg, bis Pauline mit ihrer Frisur fertig war. Dann stand sie abrupt auf. «Beweise es.»
Pauline erstarrte. «Was soll ich beweisen?»
«Dass du nicht gelogen hast.» Christines Lippen verzogen sich zu einem triumphierenden Lächeln. «Komm mit hinunter ins Musikzimmer und spiele mir ein Stück auf dem Flügel vor. Am besten eines mit Gesang. Dann werden wir ja sehen, ob du die Wahrheit gesagt hast.»
«Aber Fräulein Christine, das geht doch nicht!», rief Pauline verzweifelt. «Ich kann doch nicht einfach … Ihre Frau Mutter wird verärgert sein, wenn ich …»
«Ach was. Sie wird es gar nicht merken. Die ersten Gäste kommen zwar gleich, aber Mama und Papa werden sie zuerst in den Salon führen. Also komm!»
Pauline wagte nicht, dem Fräulein noch einmal zu widersprechen, und folgte ihr nach unten in das Musikzimmer, das gleich hinter dem großen Salon lag. Ein edler Flügel beherrschte den Raum. Davor standen im Halbkreis mehrere bequeme, mit gelbem Samt bezogene Sessel. An den Wänden standen zwei Kanapees in derselben Farbe. Kleine Beistelltische und einige mit Schnitzereien verzierte Regale voll Nippsachen vervollständigten die Einrichtung. Neben dem Flügel stand eine schmale
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