Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
tuschelten aufgeregt miteinander, zerstreuten sich dann aber rasch. Heiner, der auf Julius aufmerksam geworden war, kam auf ihn zu. «Guten Tag, gnädiger Herr. Sie möchten bestimmt zur Abendgesellschaft, wie? Kommen Sie doch herein. Die gnädigen Herrschaften erwarten Sie bereits.»
Julius folgte dem jungen Mann ins Haus. «Wer hat denn da eben gesungen?», wollte er wissen.
Heiner grinste schief. «Das war unsere Prinzessin, ich meine unsere Magd Pauline. Ich hab’s ja erst nicht glauben wollen, als sie mir erzählte, sie hätte mal gelernt, auf dem Pianoforte zu spielen und zu tanzen und das alles. Keine Ahnung, warum sie eben gespielt hat, aber die gnädige Frau ist wohl nicht erfreut darüber. Kann man ja auch verstehen. Was hat Pauline schon am Flügel verloren?» Zuvorkommend streckte er die Hand aus. «Geben Sie mir bitte Ihren Mantel, gnädiger Herr, und Ihren Stock und Hut. Ich kümmere mich darum. Und dann bitte hier entlang …»
Heiner führte Julius in den kleinen Salon. Marius Stein stand an einem der Fenster und blickte hinaus; als Julius eintrat, drehte der Hausherr sich zu ihm um. «Ah, Herr Reuther, guten Abend! Wie schön, dass Sie es einrichten konnten. Und noch dazu sind Sie der Erste heute! Das trifft sich gut, so können wir in Ruhe noch ein paar Worte wechseln. Das heißt, Ruhe haben wir wohl nicht, solange meine Frau noch damit beschäftigt ist, das Mädchen auszuschimpfen.» Er gab Heiner ein unauffälliges Handzeichen, woraufhin dieser leise die Salontür hinter sich schloss. Sogleich wurde die aufgebrachte Stimme Arianes um einiges gedämpft. «Keine Ahnung, was da los ist. Ich dachte noch, was für ein hübscher Gesang. Aber offenbar war es gar nicht Christine, die gesungen hat, sondern unser Dienstmädchen Pauline. Man stelle sich das mal vor! So viel Frechheit hätte ich ihr gar nicht zugetraut. Auch wenn ich zugeben muss, dass sie ausgezeichnet singt und spielt. Besser als Christine, und die ist schon sehr talentiert. Aber ein einfaches Dienstmädchen hat in einem Musikzimmer, an unserem teuren Flügel, nichts verloren. Es sei denn, sie hält sich dort auf, um zu putzen oder Staub zu wischen. Stimmen Sie mir da nicht zu, Herr Reuther?»
Julius nickte mit ernster Miene. «Wenn Sie es sagen, Herr Stein.»
«Tja, meine Frau wird ihr schon die Leviten lesen.» Stein winkte Julius näher. «Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir! Wie ich hörte, planen Sie, Ihre Fabrik auszubauen und in neue Webstühle zu investieren?»
***
Weinend saß Pauline im Hof am Brunnen. Nachdem Frau Stein sie bei ihrem Gesang überrascht hatte, war ein regelrechtes Donnerwetter über sie niedergegangen. Christine hatte zwar versucht, Pauline zu verteidigen, doch die Hausherrin hatte ihr den Mund verboten und Pauline mit Rauswurf gedroht, falls sie noch einmal wagen sollte, auch nur in die Nähe des Flügels zu kommen.
«Nun hör schon auf zu flennen», ertönte neben Pauline Heiners Stimme. «Die Gnädige wird dir noch eine Abreibung verpassen, wenn du nicht bald wieder reingehst. Die Gäste kommen schon, und du sollst doch beim Bedienen im großen Salon helfen.»
«Ich komme gleich.» Paulines Stimme zitterte leicht. Sie schniefte und wischte sich mit dem Putzlappen, der auf dem Brunnenrand lag, über die Nase.
«Du bist aber auch ’ne dumme Trin», befand Heiner kopfschüttelnd. «Was hast du dir nur dabei gedacht, dich an den Flügel zu setzen und zu singen? Du hättest doch wissen müssen, dass das Ärger gibt.»
«Ich wollte ja gar nicht», schluchzte Pauline. «Fräulein Christine hat darauf bestanden, weil sie nicht glauben wollte, dass ich es kann.»
«Dass du was kannst?» Heiner trat einen Schritt näher. «Singen und auf dem Flügel spielen? So was Blödsinniges hab ich ja noch nie gehört. Also hat das gnädige Fräulein dir die Suppe eingebrockt, ja? Du musst dir eines merken: Die Herrschaften scheren sich einen Dreck um dich. Weder die Jungen noch die Alten. Du hättest dich weigern sollen. Der Christine ist es doch vollkommen egal, ob du wegen so einer Grille rausfliegst. Die hatte ihren Spaß und du jetzt den Ärger.»
«Ich weiß.» Traurig blickte Pauline auf ihre Hände.
«Du singst aber ziemlich gut.»
Überrascht von diesem unerwarteten Kompliment, schaute Pauline hoch. Elfie war in der Hintertür aufgetaucht und kam nun auch zum Brunnen. «Besser als die Töchter des Hauses. Ich glaube sogar, besser als alle, die ich bisher gehört habe. Aber das wird dir hier gar nix nützen,
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