Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
Mädchen. Also bilde dir bloß nix darauf ein. Komm jetzt, die Gnädige plärrt schon wieder nach dir. Du musst an deine Arbeit gehen. Fürs Singen ist da keine Zeit.»
Pauline nickte und stand auf, strich ihr Kleid und die weiße Schürze darüber glatt. Die anderen hatten recht. Einbilden durfte sie sich nichts auf ihre Sangeskunst. Auch wenn vorhin für einen kurzen Moment wieder alles so gewesen war wie früher. Zumindest hatte es sich so angefühlt. Aber man konnte die Zeit nicht zurückdrehen. Sie war jetzt ein einfaches Dienstmädchen und würde es wohl auch bleiben. Auch wenn die Schelte ihrer Herrin sie verängstigt hatte, würde sie sich davon nicht lähmen lassen. Sie brauchte die Stellung hier im Hause, also würde sie sich weiterhin Mühe geben, es allen recht zu machen. Nichts anderes hatte sie ja heute getan. Fräulein Christine hatte schließlich darauf bestanden, dass Pauline spielte und sang. Vielleicht konnte sie Frau Stein diesen Umstand irgendwann einmal in Ruhe erklären. Doch nicht jetzt, denn nun hieß es erst einmal, den ankommenden Gästen die Mäntel und Kopfbedeckungen abzunehmen, sie mit Getränken zu versorgen und dann im Speisezimmer die Tischdekoration zu überprüfen, bevor das Essen begann.
In den folgenden drei Stunden kam Pauline nicht einen Moment zum Verschnaufen. Ununterbrochen eilte sie zwischen dem Salon, dem Speisezimmer und der Küche hin und her. Sie trug unzählige Tabletts, füllte Gläser, half Elfie beim Auftragen der Speisen und später beim Abtragen des Geschirrs. Dabei bemühte sie sich, zu jedem Gast ausgesucht höflich und freundlich zu sein. Und tatsächlich schnappte sie zu fortgeschrittener Stunde hier und da ein gemurmeltes Lob auf, das selbstverständlich nicht an sie gerichtet wurde. Doch die Gäste nahmen ihre Aufmerksamkeit durchaus wahr, und das tat ihrer Seele gut.
Elfie schien jedoch alles andere als begeistert zu sein. Mehr als einmal warf sie Pauline giftige Blicke zu, die diese standhaft zu ignorieren versuchte. Was war schließlich falsch daran, sich um die Gäste zu bemühen? Das erwartete man doch von ihr.
Gegen zehn Uhr brachen die ersten Gäste auf. Nur noch einige wenige Damen blieben im Salon zurück, um eine Partie Karten zu spielen, während die Herren sich in die Bibliothek zurückzogen, um sich ernsteren Gesprächen zu widmen.
Für die Dienstboten wurde es ein wenig ruhiger, und Pauline konnte es sich erlauben, rasch zum Abort im Hinterhof zu laufen und sich zu erleichtern. Auf dem Rückweg holte sie einen Eimer Wasser aus dem Brunnen herauf und trug ihn in die Küche. Plötzlich tauchte an der Hintertür die hochgewachsene, dunkelhaarige Gestalt Elmar Schnitzlers auf. Hastig versuchte sie auszuweichen, doch sie stieß mit dem vollen Eimer gegen den Türstock, und das kalte Nass ergoss sich über ihr Kleid. Auch den jungen Mann trafen ein paar Spritzer.
Er fluchte unterdrückt. «Pass doch auf, dumme Gans!» Erbost rieb er an den Wasserflecken auf seiner Jacke herum. «Kannst du nicht gucken, wo du hinläufst?»
«Verzeihen Sie, gnädiger Herr!» Pauline stellte den Eimer ab und sah sich nach einem Handtuch um, fand jedoch auf die Schnelle keines. Deshalb band sie ihre Schürze los und tupfte mit einer trockenen Ecke an seiner Jacke herum. «Das wollte ich nicht. Ich war ganz in Gedanken und habe Sie nicht gesehen.»
«Schon gut, schon gut, hör auf damit!» Elmar Schnitzler umfasste ihr Handgelenk, um sie von weiteren Säuberungsbemühungen abzuhalten. «Ist ja zum Glück nur Wasser, nicht wahr?» Der Ärger verflog aus seiner Stimme, und er musterte sie amüsiert aus funkelnden blauen Augen. «Aber du bist ganz nass geworden.»
«Ja, Herr Schnitzler. Aber das ist nicht schlimm», beeilte Pauline sich zu antworten. «Wie Sie schon sagten, es ist ja bloß Wasser. Das trocknet wieder.»
«Komm lieber zurück ins Haus, bei dem Wetter könntest du dich verkühlen.»
«Ja, gnädiger Herr.» Verlegen folgte Pauline dem jungen Mann in die Küche, wo sie den Wassereimer neben dem Ausguss abstellte. Sie hatte erwartet, dass Schnitzler sich entfernen würde, doch er blieb in der Küchentür stehen und beobachtete sie interessiert.
«Du bist ein hübsches Mädchen, Pauline», stellte er mit einem kleinen Lächeln fest.
Pauline senkte den Kopf. «Danke, gnädiger Herr. Sie sind sehr freundlich. Aber jetzt muss ich …»
«Christine hat mir erzählt, dass du ausgezeichnet singen und auf dem Pianoforte spielen kannst.» Er trat einen
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