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Das Haus in der Löwengasse (German Edition)

Das Haus in der Löwengasse (German Edition)

Titel: Das Haus in der Löwengasse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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neuen cremefarbenen Kleid mit dem ovalen Ausschnitt, der bis zu den Schultern reichte, zum Anbeißen aus. «Lassen Sie mich in Ruhe, Fräulein Schmitz!», knurrte er sie an.
    Pauline blickte ihn für einen Moment erstaunt an, doch dann trat sie einen Schritt auf ihn zu. «Entschuldigen Sie, aber Sie haben mich angewiesen, Ihnen Bescheid zu geben, wenn Ihre Frau Mutter eingetroffen ist. Ich habe ihr das Gästezimmer zum Garten hinaus angeboten. Ich hoffe, das war in Ihrem Sinne, gnädiger Herr.»
    «Was auch immer.» Um solche Nichtigkeiten konnte er sich im Moment wahrlich nicht kümmern.
    «Möchten Sie Ihre Mutter nicht begrüßen?», fragte Pauline ruhig. «Ich habe ihr Kaffee bringen lassen. Sie sitzt im kleinen Wohnzimmer und …»
    «Nicht jetzt, verdammt noch eins! Sehen Sie nicht, dass ich nicht in der Stimmung für Besuch bin?»
    Pauline faltete die Hände. «Ich sehe, dass Sie in unausstehlicher Laune sind, gnädiger Herr. Das tut mir leid. Aber heute ist Heiligabend, und da sollten wir alle frohen Herzens der Geburt Christi gedenken und uns nicht mit geschäftlichen Ärgernissen herumschlagen, die gewiss auch noch bis nach den Feiertagen warten können.»
    «Geschäftliche Ärgernisse?», fuhr Julius sie an. Er spürte, wie die Ader an seinem Hals anschwoll und heftig pochte. Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen.
    «Geschäftliche Ärgernisse?», wiederholte er. «Sie wissen ja gar nicht, wovon Sie reden! Ärgernisse, fürwahr! Habe ich etwa kein Recht, wütend zu sein, wenn mir zwei meiner wichtigsten Zulieferer von Rohwolle mitteilen, dass sie von den Gerüchten um meine Zahlungsunfähigkeit gehört haben? Dass sie deshalb die ausstehenden Beträge, die ich ihnen noch schulde, ohne Aufschub noch vor dem Jahreswechsel ausgezahlt haben wollen? Ist Ihnen klar, was das bedeutet? Ich werde im Januar nicht genug Geld zur Verfügung haben, um neue Bestellungen aufzunehmen. Jedenfalls nicht, wenn ich meine Arbeiterinnen und die Rechnungen für die neuen Webstühle bezahlen will! Ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten, die diese Gerüchte mir bereiten werden, wenn sie sich noch weiter herumsprechen.»
    «Sie sind zahlungsunfähig?» Pauline wurde blass.
    Julius ballte die Hände zu Fäusten. «Nein, das bin ich nicht. Aber irgendjemand hat das Gerücht gestreut. Nun kann ich sehen, wie ich das klarstelle. Obwohl – wenn meine Gläubiger auf vollständiger Zahlung bestehen, bin ich nicht allzu weit von der Zahlungsunfähigkeit entfernt. Dank Schnitzler liegt ja ein guter Teil meines Kapitals für einige Monate fest in einer ach so sicheren Anlage.» Er schlug sich mit der Faust in die flache Hand. «Verflucht, und ich habe ihm noch gesagt, dass das nicht gut ist. Womöglich muss ich auch noch einen Kredit bei ihm aufnehmen und …» Er schüttelte den Kopf. «Gehen Sie. Sie haben damit nichts zu tun.»
    Pauline schien zu zögern. Er kniff die Augen zusammen. «Was?»
    «Sie sollten jetzt Ihre Mutter begrüßen. Und in einer halben Stunde gibt es Abendessen. Die Kinder sind schon ganz …»
    «Sind Sie taub oder begriffsstutzig?» Er konnte nicht glauben, dass sie in dieser Situation so unbeirrt darauf bestand, dass er den freundlichen pater familias gab.
    Pauline runzelte die Stirn. Ihre Miene wechselte von freundlich zu verärgert. «Verzeihen Sie, Herr Reuther, aber ich bin weder das eine noch das andere. Wenn Sie den gesamten Abend hier im Arbeitszimmer verbringen und toben wollen, tun Sie es. Aber das wird ganz sicher nichts an der Situation ändern. Was wollen Sie denn an den Feiertagen machen? Sie verderben bloß sich selbst und allen anderen Mitgliedern dieses Haushalts die Weihnachtsstimmung. Die Kinder freuen sich bereits auf die Bescherung nach dem Essen. Ihre Frau Mutter wünscht sich bestimmt auch ein paar nette Stunden mit Ihnen. Ich verstehe, dass Sie außer sich sind. Ein solcher Rufmord ist unerhört und gehört selbstverständlich geahndet. Aber heute ist das Fest der Geburt unseres Heilands. Ihn sollten wir heute im Sinn und im Herzen haben.» Bevor er etwas erwidern konnte, drehte sie sich um und verließ das Zimmer.
    Sprachlos starrte er ihr nach. Bevor er noch einen klaren Gedanken fassen konnte, hörte er das herzliche Lachen seiner Mutter. Augenblicke später stand sie vor ihm. Mit einem spitzenbesetzten Taschentuch tupfte sie sich die Augenwinkel. «Bravo, kann ich nur sagen.» Sie gluckste. «Endlich hast du eine Frau gefunden, die dir den Kopf zurechtrückt.»
    «Wie bitte?»

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