Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
der zwölfjährige Julius seine ihn hänselnden Schulkameraden mit einem Spielzeugflorett bedrohte, und musste ein Kichern unterdrücken, was ihr allerdings nur ungenügend gelang.
Julius grinste breit. «Lachen Sie nur, Fräulein Schmitz! Man könnte sagen, dass ich seinerzeit in gewissen Kreisen durchaus gefürchtet war.»
Sie gluckste. «Sind Sie das nicht heute auch noch?»
«Falls dem so sein sollte, dann aus anderen Gründen als damals.»
«Sagen Sie bloß, Sie waren als Junge nicht schon stur und unnahbar!»
Er legte den Kopf schräg und musterte sie interessiert. «Bin ich das? Stur und unnahbar?»
«Stur wie ein Maulesel und unnahbar wie ein Felsbrocken. Zumindest …»
«Ja?»
«Zumindest meistens.»
«Aha.» Julius’ Miene wurde eine Spur ernster. «Also geben Sie zu, dass ich nicht ausschließlich unangenehme Eigenschaften besitze?»
«Das habe ich nie behauptet!», rief Pauline erstaunt.
«Nun gut, und in welcher dieser Eigenschaften halten Sie mich für furchteinflößender?» Gespannt sah er sie an.
«Ich … also …» Verlegen wich sie seinem Blick aus. Wieder pochte ihr Herz unruhig. Das geschah immer, wenn er sie auf diese gewisse Weise ansah. Dann flohen die Worte aus ihrem Kopf, und sie wusste einfach nicht, was sie auf seine Frage antworten sollte.
«Danke, dass Sie sich Peters Wange angenommen haben», wechselte Julius unvermittelt das Thema. «Es war Stresemann, nicht wahr?»
Überrascht hob sie den Kopf. «Er war ungeduldig mit Peter. Der Junge kommt nicht so rasch mit wie seine Kameraden und muss eine Menge aufholen.»
«Das ist nur eine faule Entschuldigung dafür, dass dieser Lehrer sich nicht anders als mit Schlägen zu helfen weiß», brummte Julius. «Ich habe selbst schon Bekanntschaft mit Stresemanns Rohrstock gemacht, als ich in seine Klasse ging. Peter wird da wohl oder übel durchmüssen, denn es sieht nicht so aus, als wolle dieser Mann in nächster Zeit den Schuldienst verlassen.»
«Sie hatten bereits bei ihm Unterricht?»
«Sorgen Sie einfach dafür, dass Peter tut, was er kann, um Stresemann so wenig Angriffsfläche zu bieten wie möglich. Ich verfüge über keinerlei Handhabe gegen ihn und würde die Situation für Peter vermutlich nur verschlimmern, wenn ich mich öffentlich beschwerte.»
Paulines Augen verengten sich. «Das klingt aber nicht nach dem Mann, der eben noch behauptete, seine Gegner mit Leichtigkeit in die Flucht schlagen zu können.»
«Sie meinen, das ist feige?» Mit finsterer Miene schüttelte er den Kopf. «Selbst wenn Stresemann morgen die Schule verlassen würde, wäre das noch keine Garantie dafür, dass Peter es auch nur einen Deut leichter hätte. Solange körperliche Züchtigung an Schulen erlaubt ist, wird es Stresemanns geben.»
«Ich weiß.» Pauline betrachtete traurig das Bild auf der Staffelei. «Wenn man dieses Gesetz doch nur ändern könnte!»
Julius berührte ihren Arm, zog seine Hand jedoch rasch wieder zurück und trat ans Fenster. «Dazu braucht es, fürchte ich, mehr als einen verärgerten Vater und eine besorgte Gouvernante.»
Pauline nickte. «Ich denke, es wird allmählich Zeit für mich, zu Bett zu gehen. Gute Nacht, Herr Reuther.»
«Gute Nacht … Fräulein Schmitz?»
«Ja?» Pauline hatte bereits die Tür erreicht und drehte sich noch einmal zu ihm um.
«Sollte es schlimmer werden, schreite ich dagegen ein.» Er zwinkerte ihr zu. «Oder ich fordere Stresemann zum Fechtduell.»
Pauline schüttelte den Kopf. «Eher suche ich ihn höchstpersönlich mit einem Rohrstock heim.»
«Autsch!» Julius zog den Kopf ein, und Pauline verschwand aus dem Zimmer.
***
«Meine Liebe, Sie kommen doch zum Rosenmontagsball im Gürzenich, nicht wahr?» Frieda hatte kaum ihren Mantel abgelegt, als sie auch schon auf Pauline einredete. «Die Einladungen gehen morgen raus, aber ich bin einfach zu aufgeregt und konnte nicht so lange warten. Sie müssen kommen! Haben Sie jemals einen solchen Spaß erlebt wie unseren Kölner Karneval?»
Pauline hakte sich bei der Freundin unter und führte sie in das kleine Wohnzimmer, in dem sie eine Kaffeetafel hatte eindecken lassen.
«Nein», sagte sie. «Ich habe noch nie den Kölner Karneval erleben dürfen. Ehrlich gesagt kann ich mir kaum etwas darunter vorstellen.»
«Ach, Sie Ärmste!» Überschwänglich drückte Frieda ihre Hände. «Sie werden sehen, etwas Vergleichbares gibt es nirgends auf der Welt. Wissen Sie, in meiner Kindheit war das Spektakel noch nicht so groß. Aber
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