Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
dann hat die Olympische Gesellschaft vor zwei Jahren beschlossen, dass der Karneval wiederbelebt werden muss, und ein eigenes Komitee gegründet. Immerhin ist er eine Kölsche Tradition, nicht wahr? Tja, und deshalb werden jetzt wieder überall Maskenfeste stattfinden, vor allem am Wochenende vor Rosenmontag. Und dann der Rosenmontagszug! Um ihn zu beschreiben, fehlen mir einfach die Worte. Sie werden schon sehen – es ist ein riesiger Spaß. Und am Abend findet dann der Rosenmontagsball statt – selbstverständlich dürften Sie nur maskiert erscheinen! Bitte versprechen Sie mir, dass Sie kommen werden! Herr Reuther ist eingeladen, und er muss Sie einfach als seine Begleitung mitbringen.» Frieda lachte. «Natürlich sähe es mein Vater lieber, wenn Herr Reuther sich um mich kümmern würde, aber das kann er ja immer noch, wenn er will. Hauptsache, Sie kommen zum Ball! Ohne Sie werde ich mich nicht halb so sehr amüsieren!»
Pauline räusperte sich verlegen. «Wenn Sie darauf bestehen, wird sich ganz sicher ein Weg für mich finden, zum Ball zu gehen. Aber macht es Ihnen denn nichts aus, wenn Herr Reuther mich als seine Begleiterin zum Ball ausführt?»
«Ach nein, woher denn!», rief Frieda überrascht. «Sie sind doch meine liebste Freundin! Wie könnte ich da eifersüchtig sein? Sie haben doch keinen Verehrer, oder? Sehen Sie! Wie sollen Sie denn sonst zum Ball kommen? Sie können schließlich nicht allein hingehen.»
«Aber sieht das nicht ein wenig merkwürdig aus, wenn Herr Reuther mit mir hingeht und Sie sich erhoffen, dass er Ihnen den Hof macht?» Pauline fühlte sich nicht wohl in dieser Situation, daraus machte sie keinen Hehl. Auch fürchtete sie sich ein wenig davor, mit Julius erneut zu einem Ball zu gehen. Der Neujahrsball war eine recht steife Angelegenheit gewesen; niemanden hatte es gestört, dass Julius sie nicht zum Tanzen aufgefordert hatte. Doch wenn er nun erneut mit ihr auf einer Tanzveranstaltung erschien, würde er nicht umhinkommen, mit ihr zu tanzen – und sie mit ihm. Wie sich das auf ihre noch immer nicht ganz stabile Gefühlswelt auswirken würde, darüber wollte sie lieber gar nicht erst nachdenken.
«Liebste Pauline, natürlich freue ich mich auf den Tag, an dem er anfängt, mir den Hof zu machen. Aber Sie sagen ja selbst, dass er in solchen Dingen sehr zurückhaltend ist. Mein Vater sagt, es kann nur noch eine Frage von Wochen oder vielleicht auch nur noch Tagen sein, bis Herr Reuther um meine Hand anhält.»
«Ach ja?» Diese Neuigkeit versetzte Pauline einen Stich.
«Ja, denn Vater hat schon viele geschäftliche Dinge mit ihm durchgesprochen. Er will unbedingt die beiden Fabriken miteinander vereinen. Ich verstehe davon nichts, aber Vater sagt, es wäre für beide Familien und Fabriken von großem Vorteil. Und Herr Reuther würde das inzwischen ähnlich sehen.»
«Tut er das?» Pauline wunderte sich. Ihr gegenüber hatte Julius bisher nichts dergleichen verlauten lassen. Oder hatte Friedrich Oppenheim nur übertrieben, um bei seiner Tochter Begeisterung zu wecken?
«O ja, Vater sagte, Herr Reuther habe sich diesbezüglich schon zweimal sehr offen mit ihm unterhalten. Das ist doch ein gutes Zeichen, oder nicht?»
«Vermutlich ist es das.» Pauline geleitete die Freundin zur Tafel und verwickelte sie in ein Gespräch über die neuesten Kleiderstoffe, um sie von dem unangenehmen Thema abzulenken. Insgeheim wunderte sie sich sehr über Julius’ offenbaren Gesinnungswandel. Sie erinnerte sich noch genau, dass er der Aussicht, Frieda den Hof zu machen und um ihre Hand anzuhalten, eher ablehnend gegenübergestanden hatte. Oder hatte sie seine Worte missverstanden?
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Kapitel 19
Den Kopf in die Hände gestützt, saß Julius in seinem Arbeitszimmer und brütete über den Abrechnungen der vergangenen Wochen. Zum wiederholten Mal verfluchte er den Bankier Schnitzler, der ihn überredet hatte, einen großen Teil des Kapitals, das er bei der Bank fest angelegt hatte, in eine neue Spekulation zu investieren. Julius benötigte dringend Geld. Der Kredit, den er aufgenommen hatte, um seine Gläubiger zu bezahlen, war bereits fast ausgeschöpft. Denn nicht nur hatten sie ihn per Androhung eines Lieferstopps dazu gezwungen, alle ausstehenden Beträge in einer Summe zurückzuzahlen. Sie verlangten zudem eine Vorauszahlung bei jeder neuen Bestellung. Er hatte bereits versucht, die neuen Webstühle zurückzugeben oder anderweitig wieder abzustoßen, doch ohne
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