Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
ihrem Schlafzimmer. Er hatte ihr ein Versprechen gegeben. Wie sonst hätte er sie dazu bewegen können, auf sein Angebot einzugehen? Natürlich hatte er es sich nicht so schwierig vorgestellt. Er hatte gedacht, dass sich eines zum anderen fügen würde, sobald sie erst einmal unter seinem Dach lebte und sich sicher fühlte. Sicherheit, so glaubte er, war wichtig für ihren Heilungsprozess. Sie musste in der Gewissheit leben, dass ihr hier nichts geschehen konnte, und er würde verdammt sein, wenn er ihr diese Sicherheit aus Unbeherrschtheit nahm.
Zähneknirschend ballte Julius die Fäuste und legte den Kopf in den Nacken, starrte zur Zimmerdecke empor. In letzter Zeit ließ seine Selbstbeherrschung durchaus zu wünschen übrig. Vielleicht weil Pauline so willig auf seine Provokationen einging und inzwischen nur noch selten ein Blatt vor den Mund nahm, wenn er sie herausforderte. Er genoss ihren verbalen Schlagabtausch, vor allem wenn er es schaffte, sie in Verlegenheit zu bringen und sie ihm dennoch nicht auswich. In solchen Momenten schöpfte er Hoffnung. Trotzdem wagte er es nicht, die unsichtbare Barriere, die körperliche Distanz zwischen ihnen zu überwinden oder zumindest zu verkleinern. Ein falscher Schritt, dessen war er sich sicher, und selbst der großzügigste Lohn würde Pauline nicht davon abhalten, auf und davon zu gehen. Deshalb hatte er gehofft, dass die Zeit und Paulines enger werdende Bindung zu den Kindern sie auch ihm allmählich näherbringen würden.
Leider war ausgerechnet Zeit etwas, das ihm nicht mehr zur Verfügung stand. Er musste eine Entscheidung treffen. Wenn es nur um ihn selbst ginge, würde er nicht einen Moment zögern. Doch er musste an die Zukunft seiner Kinder denken, an die Fabrik und die fünfundachtzig Weberinnen und Arbeiter, die auf seiner Lohnliste standen. Gefühlsduselei oder – wie Pauline es ausgedrückt hatte – der Ratschluss des Herzens durfte dabei im Grunde nicht zur Debatte stehen. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel – in jedem Fall.
***
Als Pauline einige Tage später mit Kathrin vom Markt zurückkam, blieb sie verblüfft in der Zufahrt zum Haus stehen. «Was ist denn hier los?», fragte sie das Dienstmädchen, das aber nur ebenso ratlos mit den Schultern zuckte.
«Sieht aus wie Handwerker.»
Tatsächlich waren drei Männer in derber Arbeitskleidung gerade dabei, ein Gerüst an der Hausfassade aufzustellen. Die Tür stand weit offen. Auch drinnen schienen weitere Männer beschäftigt zu sein.
Eilig setzte Pauline sich wieder in Bewegung. In der Diele blickte sie sich mit offenem Mund um. Zwei Männer bauten gerade einen Schrank ab, und drei weitere trugen Möbelstücke in den kleinen Salon.
«Was …?» Sie stellte ihren vollen Einkaufskorb auf die Treppe und ging zu Julius’ Arbeitszimmer. Nach einem kurzen Klopfen öffnete sie die Tür. «Herr Reuther?» Sie verstummte, als sie den Handwerker im Raum stehen sah. Julius selbst saß hinter seinem Schreibtisch und erklärte dem Mann etwas mit ausholenden Gesten. Bei Paulines Anblick hielt er inne. «Fräulein Schmitz, gut, dass Sie zurück sind. Darf ich Ihnen Walter Kronsfott vorstellen. Er ist Malermeister und wird die Renovierungsarbeiten am und im Haus mit seinen Männern und noch einigen anderen Handwerkern durchführen. Meister Kronsfott, dies ist die Gouvernante meiner Kinder, Fräulein Pauline Schmitz.»
Der Handwerker verbeugte sich knapp.
«Renovierungsarbeiten?», brachte Pauline nur heraus. «Warum …?» Sie blickte auf den Handwerker. «Herr Reuther, dürfte ich Sie kurz unter vier Augen sprechen?»
Julius nickte. «Meister Kronsfott, das wäre es fürs Erste. Wenn sich Ihrerseits noch Fragen ergeben sollten, geben Sie bitte mir oder Fräulein Schmitz Bescheid.»
Nachdem der Malermeister das Arbeitszimmer verlassen hatte, trat Pauline an den Schreibtisch. «Warum erfahre ich erst jetzt, dass Sie beabsichtigen, das Haus zu renovieren?»
Julius lächelte breit. «Es war eine kurzfristige Entscheidung.»
«Kurzfristig?», echote sie verärgert. «Wie kurzfristig kann man eine solche Entscheidung denn treffen? Verzeihen Sie, aber hätten Sie mir davon nicht ein paar Tage früher erzählen können? Ich komme vom Markt zurück und finde …», sie machte eine unbestimmte Geste in Richtung der Diele, «… das da.»
«Die Handwerker werden versuchen, die Beeinträchtigungen durch ihre Arbeit so gering wie möglich zu halten. Und da das Wetter einigermaßen beständig zu sein
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