Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
weiteres Wort aus der Bibliothek.
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Kapitel 20
«Hören …» Ihre Stimme brach, und sie musste erneut ansetzen. «Hören Sie auf damit. Das führt doch zu nichts!»
«Nein?» Julius’ Gesicht näherte sich dem ihren, doch als ihre Gesichter nur noch wenige Zoll voneinander entfernt waren, hielt er inne.
Paulines Brust hob und senkte sich heftig. Da war etwas in ihr, das sich wünschte, er möge die kurze Distanz zwischen ihnen endlich schließen, doch die Stimme der Vernunft warnte sie ebenso beharrlich davor, welche Konsequenzen das haben würde.
Julius ließ ihre Hände los und umschloss stattdessen ihr Gesicht, dann legten sich seine Lippen sanft und fest zugleich auf Paulines Mund. Ihr Herz schlug gleichzeitig in ihrer Brust und in ihrer Kehle, ihr Magen senkte sich. Dann löste er seine Lippen von ihren. Abwartend, fragend sah er sie an. Als sie ihm eine Winzigkeit entgegenkam, berührten sich ihre Lippen erneut. Diesmal nicht mehr so sanft, sondern fordernd, leidenschaftlich. Seine Hände wanderten hinab zu Paulines Schultern, dann zu ihren Hüften. Er zog sie fest an sich, strich mit einer Hand über ihren Rücken. Es fühlte sich an, als ob er dabei eine brennende Spur über ihren Körper zöge.
Pauline presste ihre Handflächen gegen seine Brust – doch nicht, um ihn von sich zu stoßen. Halt suchend glitten ihre Hände hinauf zu seinen Schultern. Sie rang nach Atem.
Darauf schien er nur gewartet zu haben, denn als sich ihre Lippen teilten, spürte sie, wie seine Zunge forschend über ihre Unterlippe glitt. Die Empfindungen, die Pauline durchströmten, waren neu und erschreckend für sie – aber auch aufregend. Als er den Druck seiner Lippen noch weiter verstärkte, entrang sich ihrer Kehle ein hilfloser Laut.
Plötzlich spürte sie, dass sie nicht mehr allein mit Julius war. Die Gestalt Friedhelm Buschners war neben ihr aufgetaucht. Verlangend blickte er sie an, streckte seine Hände nach ihr aus, riss sie mit einem Ruck aus Julius’ Armen.
«Aber Pauline», sagte er in dem schmeichlerischen Ton, der ihr jedes Mal einen Schauer über den Rücken jagte. «Was tust du denn da? Du gehörst doch mir! Mir allein. Wir beide waren doch so glücklich miteinander. Das können wir immer noch sein. Komm mit mir, gib dich mir noch einmal hin!» Sie spürte Buschners Hände auf ihrem Leib. Er drängte sie gegen ein Regal. Entsetzt sah sie sich um. Sie war nicht mehr in Julius’ Bibliothek, sondern in der der Familie Buschner in Bonn. Schräg vor ihr stand das Kanapee, auf das Buschner sie gleich drängen würde. Er atmete bereits schwer und zerrte an ihren Röcken.
Wo war Julius? Verzweifelt blickte sie sich um und sah ihn in der Tür stehen. Sie wollte ihn um Hilfe bitten, doch aus ihrem Mund kam nur ein verängstigtes Wimmern. Julius rührte sich nicht von der Stelle. Er blickte sie nur abgrundtief traurig an. Dann wandte er sich ab.
«Warte», rief sie verzweifelt. «Geh nicht fort! Tu doch etwas – hilf mir!»
Julius blieb stehen und drehte sich zu ihr um. Er sagte kein Wort, doch sie sah ihm an, was er dachte.
Buschner hatte sie inzwischen tatsächlich bis zum Kanapee geschoben und versuchte, sie dazu zu bewegen, sich hinzulegen. Keuchend schob er ihre Röcke hoch. Doch diesmal ließ sie es nicht zu. Mit einer Kraft, von der sie nicht wusste, woher sie kam, stieß sie den erregten Mann von sich. «Aufhören!», schrie sie ihn hasserfüllt an. «Geh weg und lass mich in Ruhe! Ich will dich niemals wiedersehen!
Du bist weit weg und kannst mich nicht mehr erreichen!», setzte sie mit schneidender Stimme nach. «Niemals wieder. Hast du verstanden? Scher dich zum Teufel, Friedhelm Buschner!» Ihr Herz pochte wie wild, sodass sie eine Hand auf ihre Brust legte, in der Hoffnung, sich damit zu beruhigen. Als sie bemerkte, dass die Gestalt Buschners immer blasser wurde, war ihre Erleichterung so groß, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Sie spürte sie heiß über ihre Wangen fließen. Glücklich, den Kampf gegen Buschner zum ersten Mal gewonnen zu haben, drehte sie sich zu Julius um – doch auch er war verschwunden.
Still saß Julius auf Paulines Bettkante und blickte auf ihre schlafende Gestalt. Als er die Treppe heraufgekommen war, hatte er ihr leises Stöhnen und Wimmern vernommen. Ohne weiter darüber nachzudenken, hatte er ihr Schlafzimmer betreten, um nach ihr zu sehen. Sofort war ihm klar, dass sie wieder einen Albtraum hatte. Zuerst wollte er sie aufwecken,
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