Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
geben.
Pauline straffte die Schultern und setzte ein fröhliches Lächeln auf. «Von mir aus können wir losfahren.» Sie strich den warmen Schal, den Jakob ihr um die Schultern legte, sorgsam glatt.
«Sie sehen heute ganz bezaubernd aus, Fräulein Schmitz», sagte der Hausdiener. «Bestimmt werden Sie sämtliche Männerherzen auf dem Ball im Sturm erobern.»
«Danke, Jakob, das ist sehr nett von Ihnen.» Pauline lächelte ihm herzlich zu.
Jakob verbeugte sich leicht und wandte sich an Julius. «Wenn ich das sagen darf, gnädiger Herr, auch Sie sind heute äußerst elegant. Sie beide ergeben ein sehr attraktives Paar.»
Ehe Pauline protestieren konnte, winkte Julius bereits ab. «Ach was, Köbes. Dieser ganze Zinnober geht mir jetzt schon auf den Geist. Gut dass ich mich heute wenigstens hinter dieser lächerlichen Maske verstecken kann.» Er hielt kurz die schwarze Teufelsmaske vor sein Gesicht, die er auf dem Ball tragen würde. «Also, lassen Sie uns aufbrechen und gute Miene zum bösen Spiel machen!» Er bedeutete Pauline, ihm voran das Haus zu verlassen.
Auf dem Weg zum großen Festsaal im Gürzenich saßen Pauline und Julius einander schweigend gegenüber. Pauline, die bei sich beschlossen hatte, sich den Abend nicht verderben zu lassen, konnte nicht verhindern, dass ihre Gedanken zu den Ereignissen des Tages zurückwanderten. Sie war mit Julius und den Kindern am späten Vormittag zu Fuß bis zum Neumarkt gegangen, um den Rosenmontagsumzug zu sehen. Sie hatte sich nichts darunter vorstellen können und war – ebenso wie die Kinder – überwältigt von dem Ereignis. Der Platz und die angrenzenden Straßen waren voller Menschen gewesen. Jung und alt, arm und reich, Männer und Frauen – viele maskiert – drängten sich dicht an dicht. Einige hatten Beutel und Körbe mit Erbsen und gipsernen Kügelchen dabei – wozu, war Pauline ein Rätsel gewesen.
Dann begann der Umzug. Offene Wagen reihten sich hintereinander auf, ihre Zugpferde mit bunten Federn und Girlanden geschmückt. Dazwischen gab es Gruppen von Musikanten. In den Wagen saßen wunderlich kostümierte und größtenteils maskierte Damen und Herren, die der jubelnden Menge zuwinkten und witzige Parolen ausriefen.
Das Gedränge war immer dichter geworden; jeder wollte einen Blick auf die herrlich dekorierten Gefährte erhaschen. Pauline hatte Mühe gehabt, die Kinder im Zaum zu halten.
Und dann lüftete sich das Rätsel um die Erbsen und Gipskügelchen: Die Menschen warfen sie auf die vorüberziehenden Wagen. Deren Insassen besaßen ebenfalls Körbe voll davon und verstreuten das Konfetti munter über den Zuschauern. Schon nach kurzer Zeit hatte Pauline Gipskügelchen in den Haaren, im Kragen und in der Kapuze ihres Mantels. Doch sie achtete nicht darauf. Die befreite, ausgelassene Stimmung und die lustigen Lieder, die rings um sie angestimmt wurden, der fröhliche Lärm, den die jubelnden und lachenden Menschen verursachten, übten einen ungekannten Reiz auf sie aus und ließen sie alle Sorgen für eine kurze Weile vergessen. Selbst Julius schien nicht unbeteiligt, auch wenn er nur hin und wieder jemandem auf den Wagen zuwinkte. Pauline nahm Ricarda und Peter bei den Händen und drängte sich bis in die erste Reihe vor, damit die Kinder eine bessere Aussicht hatten. Was für ein Spaß musste es sein, in einem dieser Festwagen mitzufahren! Auf dem Heimweg schwärmten die Kinder von dieser Möglichkeit, was Julius tatsächlich dazu veranlasste, ihnen zu versprechen, sich beim Festkomittee des Kölner Karnevals danach zu erkundigen.
Während des gemeinsamen Eintopfessens in einer überfüllten Schankwirtschaft war er aufgeräumter Stimmung und scherzte sogar ein bisschen mit den Kindern. Zurück in der Löwengasse, spürte Pauline, dass seine gute Laune nur aufgesetzt gewesen war. Sie hätte ihn gern gefragt, was geschehen war, doch sie traute sich nicht. Er zog sich in sein Arbeitszimmer zurück und tauchte erst wieder auf, als es Zeit war, sich für den Ball fertig zu machen.
***
Hätten sie nicht bereits vor dem Eingang zum Gürzenich – und noch unmaskiert – die Familie Oppenheim getroffen, so wäre sich Pauline auf dem Ball schrecklich verloren vorgekommen. Sie war überwältigt von der herrlichen Dekoration, den bunten Girlanden und Tüchern, die Wände und Decke des riesigen Saales zierten. Auf dem Ball wurden über vierhundert Menschen erwartet; alles, was in Köln Rang und Namen hatte, aber auch viele Kaufleute und wohlhabende
Weitere Kostenlose Bücher