Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
seinem Vater. Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen und war ganz überrascht, als er mich vorhin ansprach und zum Tanz aufgefordert hat. Um der alten Freundschaft willen habe ich natürlich angenommen. Wir haben sehr nett geplaudert, ja, wirklich.»
Pauline lächelte. «Wie schön, dass Sie eine alte Bekanntschaft auffrischen konnten.»
«Ich wollte ihn eigentlich einladen, mich zu meinen Eltern zu begleiten, aber dann dachte ich, das macht vielleicht keinen so guten Eindruck auf Julius, und habe es gelassen.»
«Das war bestimmt vernünftig», stimmte Pauline zu.
«Glauben Sie, er wäre eifersüchtig geworden? Ich meine, Ferdinand ist doch nur ein alter Bekannter, nichts weiter. Könnte Julius etwa denken, dass ich und Ferdinand …»
«Aber nein!» Pauline hob abwehrend die Hände. «Ganz bestimmt nicht. Herr Reuther kennt doch den Apotheker.»
«Dann bin ich beruhigt.» Frieda ergriff kurz Paulines Hand und drückte sie. «Ich möchte nämlich auf keinen Fall etwas tun, was ihn veranlassen könnte zu glauben, dass ich jemand anderem als ihm meine Zuneigung schenken würde. Meine Eltern wären darüber gewiss nicht begeistert.»
Pauline erwiderte den Händedruck der Freundin, und obgleich es ihr schwerfiel, schlug sie einen optimistischen Ton an. «Machen Sie sich nicht so viele Gedanken, Frieda. Dies ist ein Karnevalsball! Sie sind hier, um sich zu amüsieren. Niemand kann etwas dagegen haben, wenn Sie mit Herren aus Ihrer Bekanntschaft tanzen oder plaudern.»
«Sie haben recht, liebe Freundin.» Frieda atmete sichtlich auf. «Ich bin einfach viel zu nervös. Aber ich gelobe Ihnen Besserung.»
Lachend wandten sich die beiden jungen Frauen wieder den Speisen auf ihren Tellern zu.
***
Nachdem sie gegessen hatten, wanderten Pauline und Frieda noch einmal gemeinsam durch den riesigen Saal und betrachteten die zum Teil wunderlichen Maskierungen und Kleider der Damen und Herren. Hier und da erkannten sie jemanden und plauderten ein wenig. Als schließlich die Musik wieder aufspielte, gesellten sie sich zu Friedas Eltern, die mit den Steins und Schnitzlers einen kleinen Kreis gebildet hatten und sich angeregt unterhielten. Die jungen Damen mussten nicht lange warten, bis sie erneut zum Tanz aufgefordert wurden, und so verging eine weitere vergnügliche Stunde.
Als die Uhrzeiger allmählich auf Mitternacht zusteuerten, tauchte Julius wieder in der Runde auf. Pauline hatte sich bereits gewundert, wo er wohl stecken mochte, aber in dieser Menschenmenge war es leicht, jemanden aus den Augen zu verlieren. Pauline beobachtete, wie Oppenheim auf ihn einredete, woraufhin Julius zwar leicht verärgert das Kinn vorschob, jedoch nickte. Kurz darauf trat er mit einem Lächeln auf Frieda zu und forderte sie zum nächsten Tanz auf.
Frieda lächelte zurück, schüttelte aber den Kopf. «O nein, mein lieber Julius, ich muss leider ablehnen. Heute Abend habe ich schon so viel getanzt, dass mich meine Füße umbringen. Aber Sie haben den ganzen Abend noch nicht einmal mit meiner lieben Pauline getanzt. Das sollten Sie nachholen, solange Sie noch Gelegenheit dazu haben. Sie ist eine begehrte Tanzpartnerin, und ich glaube, dass ihr mehr als ein Kavalier bereits zu Füßen liegt. Mich würde es nicht wundern, wenn sie heute Abend mindestens einen Heiratsantrag bekommt.»
«Aber liebe Frieda, übertreiben Sie bitte nicht so sehr!», protestierte Pauline verlegen. «Von so etwas kann überhaupt keine Rede sein.»
Frieda kicherte. Sie war offensichtlich ein wenig beschwipst. «Aber trotzdem müssen Sie Ihrem Arbeitgeber einmal gestatten, Sie zur Tanzfläche zu führen. Bitte, ich bestehe darauf.»
Julius nickte und verbeugte sich knapp. «Wie Sie wünschen, Frieda.» Und zu Pauline gewandt, sagte er: «Würden Sie mir die Ehre erweisen?» Er streckte die Hand aus, die sie nach kurzem Zögern ergriff.
Sie gingen zur Tanzfläche und warteten dort, bis ein neuer Tanz begann. Es war ein ruhiges, beschauliches Stück, bei dem die Paare immer wieder umeinander herumgingen, einander bei den Händen fassten und nebeneinander vor- und zurückschritten. Julius ließ sie nicht einen Moment aus den Augen, sprach sie jedoch nicht an.
Er war ein ausgezeichneter Tänzer, obwohl er ungern auf große Bälle oder andere gesellschaftliche Anlässe ging. Dass sich ihre Schritte auf beunruhigend mühelose Weise einander anpassten, machte es für Pauline nicht gerade leichter, sich gleichgültig zu geben. Gegen ihren Willen bedauerte sie es,
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