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Das Haus in der Löwengasse (German Edition)

Das Haus in der Löwengasse (German Edition)

Titel: Das Haus in der Löwengasse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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Seele weh. Doch sie musste vernünftig sein. Ihre Liebe zu Julius hatte keinerlei Zukunft. Ja, sie wusste nicht einmal, ob er sie jemals erwidern würde. Zwar hatte sie in letzter Zeit sehr wohl das Gefühl gehabt, dass er ihr gegenüber nicht ganz gleichgültig war, doch das besagte überhaupt nichts. Und sie hatte in dieser Hinsicht ausreichend schlechte Erfahrungen gemacht, die zu wiederholen sie nicht bereit war.
    Seufzend trat Pauline vor den Spiegel. Sie zog die Nadeln und Haarbänder aus ihrer Frisur, bis ihre honigblonden Haare in üppigen Wellen über ihre Schultern bis auf den Rücken herabfielen. Dann nestelte sie die Verschlüsse ihres Kleides auf und zog sich müde aus. Von der Treppe her hörte sie leise Stimmen und Schritte. Offenbar hatte Julius seinem Hausdiener noch letzte Anweisungen gegeben, bevor er sich zu Bett begab.
    Pauline schlüpfte in ihr Nachthemd, flocht ihre Haare zu einem lockeren Zopf und kroch unter ihre Decke. Zum ersten Mal wünschte sie sich, Julius Reuther niemals begegnet zu sein. Der Gedanke trieb ihr die Tränen in die Augen. Eisern drängte sie sie zurück, löschte das Licht und befahl sich einzuschlafen.
    ***
    Es gab für Julius Reuther nur noch einen Ausweg aus dem Ruin. Er hatte keine Wahl mehr. Er war sich dessen so schmerzlich bewusst, dass er liebend gern demjenigen, dem er seine Situation zu verdanken hatte, die Faust ins Gesicht gerammt hätte. Einmal, zweimal, viele Male. Leider wusste er noch immer nicht, wer seine Misere zu verantworten hatte. Der Ziegeleibesitzer Lungenberg hatte seine Hände im Spiel, dessen war Julius sich fast sicher. Aber weshalb ausgerechnet er, der bisher ein guter Nachbar gewesen war, plötzlich einen derartigen Feldzug gegen ihn führen sollte, war ihm unbegreiflich.
    Allmählich kam ihm der Verdacht, dass der Bankier Schnitzler beteiligt sein musste. Wer sonst hatte so genaue Einblicke in Julius’ Geschäfte? Denn auch die letzten Wertpapiere, auf die er hatte hoffen können, waren vor seiner Nase aufgekauft worden.
    Die niederschmetternde Nachricht hatte Julius am Samstag erreicht. Er hatte Stillschweigen bewahrt, um seinen Kindern die Karnevalstage nicht zu verderben. Natürlich hatte er gegenüber seinen Nachbarn und Bekannten so getan, als sei alles bestens. Doch in Wahrheit stand seine Fabrik, seine Lebensgrundlage, nun endgültig vor dem Aus. Er musste Frieda Oppenheim heiraten, wenn er nicht alles verlieren wollte, obgleich er überzeugt war, dass es bei den Vorfällen in der letzten Zeit nicht mit rechten Dingen zugegangen war und jemand systematisch versuchte, ihm zu schaden. Oppenheim hatte ihm die Adresse eines ausgezeichneten Detektivs gegeben und ihm angeboten, ihn bei der Aufklärung der Angelegenheit nach Kräften zu unterstützen. Natürlich erst nach der Hochzeit.
    Julius stand auf dem oberen Treppenabsatz und ballte die Hände zu Fäusten. Der vergangene Abend war aus seiner Sicht eine Katastrophe gewesen. Die Frau, die er liebte, mit der Frau, die er heiraten sollte, in trauter Freundschaft zu sehen verursachte ihm Magenschmerzen. Er ahnte, dass Pauline Frieda ermutigt hatte, ihre Scheu vor ihm abzulegen. Allein dafür hätte er sie am liebsten erwürgt. Pauline war ein verdammter Ausbund an Vernunft und trotz allem, was ihr widerfahren war, tugendhafter als so manche keusche Jungfer der sogenannten guten Gesellschaft. Er hatte von Anfang an gewusst, dass er sich Ärger einhandeln würde, wenn er sie in sein Haus und in sein Leben ließ. Doch niemals hätte er damit gerechnet, dass er diesem Ärger nicht gewachsen sein würde, weil die Umstände ihn zwangen, anders zu handeln, als er es vorgehabt hatte. Mit ein wenig Zeit und Geduld hätte er sie vielleicht für sich gewinnen können. Wenn erst die Erinnerung an die schlimme Zeit, die hinter ihr lag, verblasst wäre, hätte er vielleicht …
    Wütend knirschte er mit den Zähnen und ging in sein Schlafzimmer. Er musste sich zwingen, die Tür nicht mit aller Wucht ins Schloss zu werfen. Heftig zerrte er am Kragen seines Hemdes und warf seine Anzugjacke achtlos auf einen Stuhl.
    Dass sie so nah und doch unerreichbar für ihn war, setzte ihm mehr zu als alle Gerüchte und Skandale der Vergangenheit. Und doch … Zuletzt hatte er den Eindruck gehabt, dass sie nicht so gleichgültig ihm gegenüber war, wie sie vorgab. Sie empfand etwas – was, hätte er nur zu gern gewusst. Er musste es herausfinden. Sollte auch nur die geringste Hoffnung bestehen, dass sie seine

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