Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
spielen.»
«Wirklich?» Peters Augen leuchteten auf. «Darf ich das denn?»
«Warum solltest du das nicht dürfen?» Verwundert sah Pauline ihn an.
«Weil …» Peter zuckte die Achseln. «Sonst spielen doch nur Mädchen auf dem Pianoforte.»
«Aber nein!» Pauline lachte. «Wenn du das Instrument gerne lernen möchtest, hat ganz gewiss niemand etwas dagegen. Weißt du, die berühmtesten Musiker sind Männer.»
«Aber ich singe besser als Peter!», mischte Ricarda sich ein.
«Tust du gar nicht», protestierte Peter.
«Tu ich wohl!»
«Kinder, bitte nicht zanken.» Pauline hob beschwichtigend die Hände. «Ihr singt beide für euer jeweiliges Alter recht gut. Wie wäre es, wenn wir nun alle gemeinsam etwas singen?»
So verging eine Stunde, in der sie gemeinsam sangen und spielten. Bevor sie die Kinder zu Bett schicken konnte, verlangten sie von ihr, ihnen etwas vorzuspielen. Pauline wollte schon ablehnen, weil es spät wurde, doch Julius tauchte ebenfalls im Salon auf und setzte sich an den Tisch. «Bitte», sagte er. «Würden Sie mir den Gefallen tun, uns ein oder zwei Lieder vorzusingen. Die Kinder sollen schließlich etwas haben, woran sie sich orientieren können, was ihre Gesangsausbildung anbelangt. Nichts motiviert mehr als ein eindrucksvolles Vorbild.»
«Wie Sie meinen.» Pauline setzte sich ans Pianoforte und schlug ein paar Noten an. Sie entschied sich für Der Mond ist aufgegangen .
Kaum hatte sie den ersten Vers gesungen, stand Julius unvermittelt auf und stellte sich hinter sie. In ihrem Nacken kribbelte es. Als er mit angenehm tiefer Stimme in ihren Gesang einstimmte, hätte sie sich beinahe vor Verblüffung verspielt.
Ricarda und Peter starrten sie mit offenen Mündern an. In der dritten Strophe stimmten die Kinder mit ein. Paulines Herz pochte heftig in ihrer Brust, nicht mehr vor Schreck, sondern inzwischen vor Freude über den gemeinsamen Gesang. Viel zu schnell war das Lied beendet. Unsicher blickte sie zu Julius, der bereits neue Notenblätter aus der Kommode holte und in den Ständer stellte.
Pauline las den Namen des Liedes und errötete, wagte aber nicht, ihm zu widersprechen. Sie schlug die ersten Töne an, diesmal setzte er zuerst mit dem Gesang ein: Guter Mond, du gehst so stille …
Er berührte sie sacht an der Schulter, forderte sie damit auf, in das Lied einzustimmen.
Pauline gehorchte, obwohl sie nicht sicher war, ob ihre Stimme ihr gehorchen würde. Die Kinder sangen diesmal nicht mit, da beide den Text nicht kannten. Streng genommen war es auch kein Lied für Kinder. Spätestens in der vierten Strophe wurde Pauline dies bewusst. Während sie sang, stieg die ihr nur zu vertraute Wärme in ihre Wangen. Warum hatte Julius ausgerechnet dieses Lied ausgesucht?
Nicht in Gold und nicht in Seide
wirst du dieses Mädchen sehn
nur im schlichten netten Kleide
pflegt mein Mädchen stets zu gehn
Nicht vom Adel, nicht vom Stande
was man sonst so hoch verehrt
nicht von einem Ordensbande
hat mein Mädchen seinen Wert
Nur ihr reizend gutes Herze
macht sie liebenswert bei mir
gut im Ernste, froh im Scherze
jeder Zug ist gut an ihr
Ausdrucksvoll sind die Gebärden
froh und heiter ist ihr Blick
kurz, von ihr geliebt zu werden
scheinet mir das größte Glück
Mond, du Freund der reinen Triebe
schleich dich in ihr Kämmerlein
sage ihr, dass ich sie liebe
dass sie einzig und allein
mein Vergnügen, meine Freude
meine Lust, mein alles ist
dass ich gerne mit ihr leide
wenn ihr Aug’ in Tränen fließt
Pauline musste sehr an sich halten, damit ihr nicht selbst die Tränen kamen. Froh, als die letzte Strophe endlich geendet hatte, ließ sie ihre Hände in den Schoß sinken.
Ricarda und Peter klatschten begeistert Beifall und forderten noch eine Zugabe. Julius schüttelte den Kopf. «Nichts da», sagte er. «Es ist spät, und ihr beiden geht jetzt zu Bett.»
«Aber ihr habt so schön zusammen gesungen», protestierte Ricarda. «Ich wusste gar nicht, dass du so gut singen kannst, Papa. Sonst singst du nur zu Weihnachten ein bisschen.»
«Es wird sich bestimmt noch einmal eine Möglichkeit ergeben, gemeinsam zu musizieren», sagte Julius.
Pauline starrte ihn verblüfft an. Solche Worte war sie nicht von ihm gewöhnt, schon gar nicht ohne spöttischen Unterton. Er strich beiden Kindern kurz übers Haar, wünschte ihnen eine gute Nacht und verließ den Salon.
Pauline erhob sich. «Kommt, Kinder. Euer Vater hat recht – es ist Zeit für euch, zu Bett zu
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