Das Haus in Georgetown
hätte.“
„Mein Vater hält es für eine Ehre, Joe zu heißen.“ Sie prostete ihm zu. „Hut ab, Pavel. Wir schweifen dauernd von deinem Leben ab und reden über meins. Bist du einfach ein besonders guter Zuhörer, oder sprichst du so ungern über dich? Ich weiß kaum etwas über dich.“
„Aber ein bisschen habe ich dir schon erzählt. Erinnerst du dich?“
Sie überlegte. „Ein Test, hm? Du bist in der Nähe von Washington geboren worden, aber in Kalifornien aufgewachsen. Und du hast irgendwo im mittleren Westen studiert.“
„Chicago.“
„Dann bist du zu Besuch in die Hauptstadt gekommen und geblieben, um ,Scavenger‘ aus der Taufe zu heben. Du warst nie verheiratet, weil du keine Langzeitbeziehungen eingehen willst.“
„Augenblick! Jetzt äußerst du nur Vermutungen.“
„Aber ich liege richtig, oder?“
Das konnte er nicht leugnen.
„Dann ist da noch dieses Haus“, fuhr sie fort. „ Das könnte man mit Fug und Recht eine Langzeitbeziehung nennen.“
„Ich fange schnell an, mich zu langweilen. Ich brauche ein Haus, das mich dauernd auf Trab hält.“
„Aber keine Frau?“
„Kennst du irgendeine Frau, die das kann?“
Er bereute seine Worte, kaum dass er sie ausgesprochen hatte, aber Faith lachte bloß. „Brauchst du eine Frau, die mit dir Achterbahn fährt? Dir mal die Hölle heiß macht und mal den Himmel zu Füßen legt?“
„Bei einer solchen Frau bin ich aufgewachsen. Sie hat mich tatsächlich auf Zack gehalten, aber das war gar nicht lustig.“
„Tut mir Leid. Das klingt nicht gut.“
Es tat ihr wirklich Leid. In ihrer Stimme und ihrem Blick lag Mitgefühl. Während sie ihn so anguckte, dachte Pavel, dass sie genau der Typ Frau war, dem er immer aus dem Weg gegangen war.
„Meine Eltern haben sich getrennt, als ich noch klein war, und ich habe meinen Vater nie wiedergesehen. Meine Mutter hat zur Flasche gegriffen und so viele Depressionsschübe gehabt, dass ich irgendwann aufhörte, sie zu zählen.“
„Du hast gesagt, sie ist gestorben, bevor du Kalifornien verlassen hast?“
„Sie hatte sich längst aufgegeben. Ihr Leben war verpfuscht.“
„Verpfuscht? Sie hatte einen Sohn.“
„Ab und zu fiel ihr das wieder ein, und dann war das Leben ein Weilchen wunderbar. Bis sie wieder dem Alkohol verfiel.“
„Keine leichte Jugend.“
So war es wohl, auch wenn er sich schon vor Jahren jedes Selbstmitleid abgewöhnt hatte. „Diese Zeit hat mir auch Gutes gebracht. Ich habe so viel Zeit wie möglich in der Schule verbracht,um nicht nach Hause zu müssen. Aus demselben Grund habe ich gelernt, leicht Freundschaften zu schließen. Beides hat mir geholfen, ,Scavenger‘ zum Erfolg zu führen.“
„Das glaube ich.“ Sie nahm den letzten Schluck Wein und setzte das Glas ab. Dann sprach sie weiter. „Hast du irgendwelche Erinnerungen an deinen Vater?“
„Nur dass er nicht da war, um sich um mich zu kümmern.“
„Manchmal kommt es mir so vor, als wäre die Welt ein großer Club für Menschen mit unglücklicher Kindheit.“
Sie guckte ihn so traurig an, dass er lachen musste. „Faith, mach dir keine Sorgen. Jetzt bin ich nicht mehr unglücklich.“
„Ich frage mich gerade, was ich meinen Kindern antun werde. Oder schon angetan habe. Oder vielleicht wird ihnen das Wissen, dass ihr Vater schwul ist, immer im Wege stehen.“
„Nein, denn du spielst in ihrem Leben eine wichtige, positive Rolle, und nach allem, was du erzählt hast, gilt für ihn dasselbe.“
„Du wärst ein guter Vater.“
„Meinst du?“ Das erstaunte ihn. Noch mehr überraschte ihn, dass er sich noch nie ernsthaft Gedanken darüber gemacht hatte. Weil sein eigener Erzeuger stets abwesend gewesen war, hatte er eine Vaterschaft nie ernsthaft in Erwägung gezogen.
„Du kommst fantastisch mit Alex zurecht“, sagte sie. „Sogar mit Remy gehst du richtig um, und das ist der Härtetest.“
„Dir hat es gefallen, dass ich ihr angedroht habe, sie übers Knie zu legen?“
Sie ließ ihr aufregendes Marlene-Dietrich-Lachen hören. „Mir hat gefallen, dass du die Drohung nicht wahr gemacht hast.“
Pavel stellte sein Glas ab und widerstand der Versuchung, es noch einmal zu füllen. Denn das nächste Glas Wein würde seine Libido so sehr anregen und seine Hemmschwelle so weit herabsetzen,dass er sich vorstellen konnte, was er als Nächstes versuchen würde.
Er stand auf und streckte sich; dann hielt er ihr die Hand hin. „Lass uns einen Spaziergang machen.“
„Die Sonne geht schon unter,
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