Das Haus in Georgetown
Kindern scheint es heute Vormittag gefallen zu haben. Remy fand vor allem die Pferdeschau interessant. Sie hat ein paar Kinder aus eurem alten Viertel getroffen und sich zu ihnen gesellt. Bis zum Ende der Show habe ich sie kaum noch zu Gesicht bekommen.“
Faith war froh, dass ihre Tochter sich nicht mehr von ihren alten Freundinnen fern hielt. Im Augenblick waren Remy und Alex oben, um sich für einen Einkaufsbummel umzuziehen, und Faith hoffte, dass die beiden ihr von der Pferdeschau erzählen würden.
„Faith, hast du vor, irgendwann Kaffee in diesen Filter zu füllen?“
Faith sah den Filter an. „Ja, aber langsam. Ganz langsam.“
„Viel Schlaf hattest du wirklich nicht, was? Du hast Ringe unter den Augen.“
„In letzter Zeit geht mir viel durch den Kopf.“ Faith riss sich zusammen, füllte Kaffeepulver ein und schaltete die Maschine an.
„Zum Beispiel?“
Faith rang nach Worten. „Tja, ich muss die Renovierung unddie Gartenarbeiten zum Abschluss bringen, und ich will dabei alles richtig machen.“
„Richtig?“
„Ich muss noch eine Menge anstreichen. Und dabei sowohl auf die Geschichte als auch auf den Komfort achten. Am besten gehe ich nach nebenan und frage Dottie Lee, an welche Innenraumfarben sie sich entsinnt; dann bin ich diese Unsicherheit los. Über den Garten wusste sie so gut wie alles.“ Faith schaute hoch. „Sie hat mir erklärt, dass es praktisch nichts gibt, woran sie sich bezüglich des Hauses nicht erinnert. Aber sie rückt die Informationen nur stückchenweise heraus. Sie wartet, bis ich die richtigen Fragen stelle. Ich glaube, auf diese Weise will sie erreichen, dass ich sie weiterhin besuche.“
„Wie hat sie das gemeint: Sie erinnert sich an alles ?“
„Sie äußerte, sie entsinne sich an mehr Dinge, die das Haus betreffen, als jeder andere auf der Welt.“ Faith kramte in ihrem Gedächtnis und zuckte dann mit den Schultern. „Sie ist älter als du, also reicht ihre Erinnerung weiter zurück. Und sie hat seit dem Tag ihrer Geburt nebenan gewohnt. Also wird es wohl stimmen.“
Lydia schwieg. Obwohl sie im Geiste noch immer bei der letzten Nacht war, bemerkte Faith, dass ihre Mutter über etwas nachgrübelte.
„Sie hat mir neulich berichtet, wie schön du warst.“ Faith beobachtete, wie ihre Mutter den Kopf hochriss. „Und ich habe ihr erzählt, wie wenige Fotos ich aus deinen ersten Ehejahren kenne. Ich habe eure Hochzeitsfotos gesehen, ja, aber danach kaum noch welche.“ Sie zögerte, wollte aber nicht länger wie die Katze um den heißen Brei herumschleichen. „Außer den Zeitungsfotos nach Hopes Entführung.“
„Wie seid ihr auf das Thema verfallen?“
„Ich habe sie über diese Zeit ausgefragt. Hope ist in diesem Haus immer noch allgegenwärtig. Nicht als Gespenst“, fügte sie schnell hinzu. „Aber es ist spürbar, dass hier etwas nicht zum Abschluss gekommen ist.“
„Das war fast das Schlimmste daran, weißt du: auf eine Auflösung zu warten, die nie zu Stande kam. Das, und die Furcht, dass sie tot sein könnte oder man ihr wehgetan hat oder sie nach mir ruft ...“
„Oh Mutter.“ Faith griff nach Lydias Händen. „Es tut mir Leid.“
Lydia schüttelte sie ab. „ Du hast in der Vergangenheit herumgestochert. Du und diese Frau.“
„Ich lebe jetzt hier.“
„Es bringt nichts, die Entführung wieder auszugraben.
Glaubst du etwa, ein paar Gespräche mit Dottie Lee reichen aus, um ein Verbrechen aufzuklären, an dem das FBI gescheitert ist?“
„Ich will das Ganze einfach etwas besser verstehen, das ist alles. Es war das Tabuthema meiner Kindheit. Sie war meine Schwester. Diese Geschichte hat auch mich geprägt.“
„Als es geschehen war, gab es für mich nur einen Weg, um zu überleben: Ich musste die Entführung vergessen. Erst nur für Minuten, dann für Stunden, und später, viel später, ganze Tage lang. Anders hätte ich das nicht ertragen können.“
„Ich weiß, wie sehr du darunter leidest, selbst heute noch.“
Aber Lydia war noch nicht fertig. „Ich dachte, ein zweites Kind würde die Wunde schneller verheilen lassen. Dann kamst du, und jedes Mal, wenn ich dich anschaute, überlegte ich, wie Hope wohl in deinem Alter ausgesehen hätte. Ob sie wohl früher mit dem Laufen angefangen hätte. Ob sie dieselben Spielsachen gemocht hätte. Sie hatte dunkles Haar – wie dein Vater. Wenn ich inden ersten Jahren beim Einkaufen etwas entdeckte, das einem dunkelhaarigen Kind gut gestanden hätte, musste ich mich manchmal mühsam
Weitere Kostenlose Bücher