Das Haus in Georgetown
doch sie machte Dominik aus unerfindlichen Gründen für das Asthma ihres Sohnes verantwortlich. Er arbeitete nicht hart genug, schnell genug, lang genug, und sie glaubte, weil sie arm waren, ließ man sie stundenlang in den Krankenhausfluren warten. Sie war nicht im Stande arbeiten zu gehen, weil man Pasha mit seinem Keuchhusten schließlich keinem Babysitter überlassen konnte. Erleichterung verschaffte ihr nur das Geschimpfe auf ihren Mann.
Lydia wollte von Dominiks Ehe nichts hören, aber sie verstand, dass er darüber reden musste. Wenn sie zusammen waren, versuchte sie Joe nicht zu erwähnen. Sie hatte keine Lust, ihre gemeinsamenStunden durch Gedanken an ihrer beider Ehen zu verdüstern. Joe war so oft auf Reisen und fragte sie so selten, ob sie ihn begleiten wolle, dass sie sich tage-, ja, wochenlang einreden konnte, sie sei gar nicht verheiratet.
Jetzt war das leider nicht mehr möglich.
Dominik kam fast eine Stunde nach der vereinbarten Zeit. Obwohl er einen Schlüssel hatte, klopfte er an. Sein dunkles Haar war zerzaust, und er wirkte abgespannt.
„Entschuldigung, es ging nicht früher.“
Sie nickte und hielt die Tür auf. Er trat ein, zog seine Wollhandschuhe aus und stopfte sie in die Tasche seines fadenscheinigen Mantels, bevor er auch diesen ablegte und über seinen Arm warf.
„Bist du allein?“ fragte er.
„Joe ist wieder auf Reisen.“
Er machte keine Anstalten, sie zu umarmen. Er hielt sich immer zurück, als brauche er stets aufs Neue eine Bestätigung, dass sie ihn wirklich liebte.
Heute konnte sie ihm diese Gewissheit nicht geben. Sie verschränkte die Arme: eine Geste, die sie sich seit ihrer Heirat angewöhnt hatte. Die lebendige junge Frau, die allen und allem gegenüber so offen gewesen war, lernte allmählich, sich zu verschließen.
„Ist dein Sohn wieder krank?“
„Der Doktor, er sagt, vielleicht macht der Weihnachtsbaum ihn krank. Wir mussten den Baum an die Straße legen, für die Müllabfuhr. Er hat so sehr geweint.“ Dominik sah so betrübt aus, als hätte er die Kindheit seines Sohnes ruiniert. „Sandor, er hat Pasha versprochen, einen neuen Baum zu besorgen, einen kleinen, ganz glitzernd und golden. Aber das ist kein richtiger Weihnachtsbaum.“
Lydia verstand, warum Dominik unglücklich war, aber heutevermochte sie so etwas nicht zu rühren. Ihr gingen zu viele Dinge durch den Kopf – Dinge, die sie ihm sagen musste.
Sobald sie die richtigen Worte finden würde.
Sie flüchtete sich in Allgemeinplätze. „Das tut mir Leid. Ich hoffe, das wächst sich bei ihm aus.“
„Die Zeit heilt alle Wunden.“ Vorsichtig streckte er den Arm aus und strich ihr mit einer Fingerspitze über den Wangenknochen. „Ist mit dir alles in Ordnung?“
„Nein, Dominik.“ Sie stand ganz still, denn wenn sie sich hätte bewegen müssen, wäre sie ihm womöglich in die Arme gesunken.
„Bist du krank?“
„Ich bin schwanger.“
Er starrte sie an.
Sie konnte zugucken, wie seine Gedanken sich überschlugen.
Er hatte gut daran getan, die Sowjetunion zu verlassen, denn wenn er gezwungen gewesen wäre, irgendetwas vor den Behörden zu verheimlichen, wäre er kläglich gescheitert.
„Es ist von Joe“, sagte sie. „Wir beide haben ja aufgepasst.“ Sie hatten sogar Joes Kondome verwendet, die er im Nachtschränkchen aufbewahrte, aber nie benutzt hatte. Schon vor Monaten hatte Joe beschlossen, es sei an der Zeit, ein Kind zu zeugen. Lydia, die sich da längst nicht so sicher war, hatte sich heimlich ein Diaphragma besorgt, das sie einsetzte, wann immer er ihr Gelegenheit ließ, sich kurz zurückzuziehen.
Aber es hatte Situationen ohne Vorwarnzeiten gegeben, Situationen, in denen Joe sich auf sie gestürzt und sie genommen hatte, ohne auch nur ein Wort der Liebe zu murmeln. Er fand es vermutlich erregend, ihr Geschlechtsleben ebenso zu dominieren wie ihr ganzes Dasein und keinen Zweifel daran zu lassen, wer das Sagen hatte.
„ Wir haben aufgepasst, ja“, antwortete Dominik. „Aber er war nicht da. Wie ist das möglich, dass du ein Kind von ihm erwartest?“
„Einmal reicht völlig aus, und gelegentlich kommt er ja nach Hause.“ Sie spürte, wie ihre Unterlippe zitterte. Sie biss darauf. Fest. „Er will ein Baby, Dominik. Er hat es versucht, und ich habe, na ja, habe ihm verschwiegen, dass ich etwas zur Empfängnisverhütung benutze. Aber nicht immer. Ich hatte nicht immer Gelegenheit dazu.“
„Und der Zeitpunkt, er ist korrekt?“
Sie konnte es nicht sagen, weil sie
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