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Das Haus mit der grünen Tür

Das Haus mit der grünen Tür

Titel: Das Haus mit der grünen Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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einmal jung gewesen sein. Aber das war lange her. Ich schätzte sie auf um die neunzig. Die Haut in ihrem Gesicht sah aus, als könne sie jeden Moment zerbröseln, und das einzig Lebendige darin waren die lebhaften, blauen Augen. Das Haar war so dünn, daß man die Kopfhaut darunter sehen konnte, und ein Hörgerät hatte sich an ihrem einen Ohr festgeklammert, wie ein Adlerhorst an einem knorrigen Berghang.
    Sie sprach langsam, aber mit klarer Stimme. Und sie redete sofort los. »Nein, ich brauche nichts. Ich bin neunundachtzig Jahre alt, mein Mann ist seit zwanzig Jahren tot, ich bin so schwerhörig, daß ich die Klingel nicht höre, aber es leuchtet eine Lampe auf, wenn Sie klingeln, ich gehe nie nach draußen, die Haushaltshilfe erledigt alles für mich, ich besitze kein Geld, das hat die Bank, die nehmen alles, was ich habe, aber ich wohne hier, bis ich sterbe, uns hat dieses Haus einmal gehört. Sie kriegen mich nicht raus. Sie kriegen mich nicht raus! Sind Sie von der Bank?« Sie sah mich plötzlich mißtrauisch an.
    Ich schüttelte energisch den Kopf. »Aber nein, ganz und gar nicht.« Ich zeigte nach oben zur Wohnung darüber. »Herr Wang«, sagte ich, mit offenen, deutlichen Lippenbewegungen. »Ihr Nachbar von oben. Haben Sie ihn in letzter Zeit gesehen?«
    Die Frau sah mich verwundert an. »Den Nachbar von oben? Den habe ich nie gesehen. Ich höre nicht einen Laut von da oben. Da wohnt wohl keiner. Den letzten hab ich – äh – 1967 gesehen oder vielleicht 1968. Meine Schwester wurde beerdigt. Kathinka. Sie war 1889 geboren. Ihr Mann war bei der Stadtreinigung. Aber der war da schon lange tot. Das war das letzte Mal, daß ich draußen war. Ich traf ihn im Flur. Ein kleiner Mann mit rotem Ausschlag am Kinn. Die Haushaltshilfe erledigt mir alles. Was soll ich denn draußen? Ich werde bald sterben. Aber er hatte roten Ausschlag, ungeheuer rot, am Kinn.« Sie nickte mir aufmunternd zu.
    Ich seufzte. »Nein. Nein, das ist er wohl nicht. Ich danke Ihnen.«
    »Nein«, sagte sie.
    Ich machte eine resignierte Handbewegung, verbeugte mich und ging zur Treppe.
    »Leben Sie wohl, junger Mann. Leben Sie wohl«, ertönte es hinter mir. Sie lächelte, nickte und verschwand, wie eine Marionette.
    Ich ging zum Wagen hinunter.
    Ich biß mir auf die Lippen. Es war zu früh, um Finckel wieder anzurufen. Das Büro wollte ich meiden, wegen Muus. Ich hatte wieder nur einen Ausgangspunkt, einen unsicheren Punkt, es konnte ein Schlag ins Wasser sein: die grüne Tür. Das Haus mit der grünen Tür.

23
    Es war halb zwölf am Vormittag, aber die Snackbar an der Ecke mit dem Blick auf das Haus mit der grünen Tür machte schon um elf Uhr auf. Die große Frau hinter dem Tresen erkannte mich wieder. Als ich Kaffee bestellte, fragte sie: »Tasse oder Kännchen?« Ich bestellte ein Kännchen, und ein altes Lächeln drückte sich um ihre Lippen herum, kam aber nicht richtig hervor. Ich hatte meinen Wagen gleich um die Ecke in der Professor Hansteensgate geparkt, und ich war klar zum Einsatz, egal zu welchem.
    Die Stunden vergingen langsam.
    Es war jetzt weit weniger Betrieb im Haus mit der grünen Tür als am Abend zuvor. Über dem milchigen Glas in der unteren Hälfte der Fensterscheiben von A/S Hjemmehjelp sah ich ein paarmal flüchtig den platinblonden Schopf von Frau Kvam. Kvam selbst sah ich nicht. Teddy Lund sah ich auch nicht.
    Ein interessantes Phänomen notierte ich mir, dasselbe wie am Abend zuvor: Die dort ein und aus gingen, waren größtenteils Männer. Und es gab ein Schema in dem Betrieb. Es waren nie viele gleichzeitig dort. Am Abend zuvor waren es bis zu fünf. Jetzt waren es selten mehr als einer zur Zeit. Sie blieben eine kurze Zeit im Haus, einige nur eine halbe Stunde, keiner länger als eine Stunde. Am Vorabend waren einige länger geblieben, aber keiner länger als zwei Stunden.
    Ich war mir mittlerweile ziemlich sicher, was vor sich ging. Ich kannte solche Häuser. Aus Kopenhagen, aus Amsterdam, aus Buenos Aires, aus Paris. Aus Nordnes und Sandviken, aber dort in kleinerem Maßstab – und nicht so offensichtlich. Nicht so organisiert. Dieses hatte ja fast kontinentalen Stil. Ein Duft von großer, weiter Welt.
    Eine Episode interessierte mich besonders. Am Nebentisch saßen zwei junge Mädchen, zwei von denen, die auch am Abend zuvor dort gesessen hatten: Kaugummi, Jeans und Daunenjacken. Beide sahen in regelmäßigen Abständen zum Haus mit der grünen Tür hinüber. Um fünf vor eins stand die eine auf, verließ

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