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Das Haus Zeor

Das Haus Zeor

Titel: Das Haus Zeor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Lichtenberg
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Gen-Territorium aufgewachsen war, hatte er sich keine Sorgen zu machen brauchen, falls er zu einem relativ hilflosen Gen reifen würde – und nachdem seine Mutter und sein Vater beide Gens waren, war die Wahrscheinlichkeit dafür groß gewesen.
    Er versuchte, sich vorzustellen, wie eine Kindheit auf der Sime-Seite der Grenze war. Für Kinder, die die Tötung viele Male gesehen hatten, die den Wahnsinn der Not miterlebt hatten und die überwältigende Stärke des Simes, mußte es der schlimmstmögliche Schrecken sein, den sie sich vorstellen konnten, ein Gen zu werden. Ihre Nachbarn, ihre Eltern, ihre Schwestern und Brüder, ihre Schulkameraden – alle würden sie plötzlich als Objekt für eine Vorzugstötung betrachten.
    Die Ungewißheit und Unsicherheit waren für sie eine genauso schwarze Wolke, wie sie es für ein Kind im Gen-Territorium waren. Nur daß man auf der Gen-Seite der Grenze den Wechsel zu einem Sime-Erwachsenen fürchtete – gejagt, verachtet, gehaßt von Verwandten und Freunden. Wie viele Halbwüchsige, die sich hilflos im Griff des Wechsels befanden, hatten versucht, sich vor ihren Eltern zu verstecken, und waren, als ihnen dies nicht gelang, von denen zu Tode geprügelt worden, die einst Liebe zu ihnen bekannt hatten.
    Und wieviel von der Elternliebe war entstellt von der Angst, daß sich dieses Kind verwandeln und sie angreifen könnte, während sie schliefen? Es ist ein Wunder, dachte Valleroy, daß es auf beiden Seiten der Grenze überhaupt geistig normale Erwachsene gibt!
    Aber vielleicht war das der Kern des Problems. Andles Simes waren in Angst aufgewachsen, Gens zu werden. Sie akzeptierten ohne Frage, daß der natürliche Instinkt noch stärker war als elterliche Liebe. Wenn er so mächtig war, dann mußte er moralisch sein. Sie mußten Gens in eine untermenschliche Kategorie einordnen, um zum Töten fähig zu sein. In dieser Hinsicht waren sie nicht richtig bei Verstand.
    Andererseits mußten die Gens davon überzeugt sein, daß Simes die böse Brut des Teufels waren, gesandt, die Unversehrtheit der nichtmutierten Gestalt der Alten zu vernichten. Die Mission des Gen war es, die Rasse rein zu halten. So gesehen war es in Ordnung, Simes zu töten, weil Simes keine richtigen Menschen waren, sondern lediglich vollkommen böse Kreaturen, die wie Menschen aussahen, solange sie Kinder waren. In dieser Hinsicht waren die Gens nicht richtig bei Verstand.
    Valleroy legte einen neuen Ast ins Feuer und sah zu, wie sich der Ruß an der Decke sammelte. Er hatte bis jetzt nie bemerkt, wie anders seine eigene Kindheit im Grunde genommen gewesen war. Seine Mutter hatte ihn geliebt – vorbehaltlos, von ganzem Herzen, ohne die geringste Einschränkung. Und er hatte sie geliebt und ihr vertraut, weil er wußte, sie hätte ihn als Sime wie als Gen genauso geliebt. Viele Male hatte sie mit ihm geprobt, was er tun mußte, wenn er sich im Wechsel befand. Sie hatte ihn auf dem geheimen Pfad zur Grenze gebracht und ihm gesagt, wie er die grünen Banner der Pferche fand. „Du kannst nichts mitnehmen außer meiner Liebe zu dir. Aber die mitzunehmen darfst du nicht vergessen.“
    Sie hatte nicht lange genug gelebt, um sehen zu können, in welche Richtung sein Leben führen würde. Aber sie hatte sich eigentlich nicht so sehr gesorgt. Er war ihr Sohn, so oder so. Nachdem sein Vater gestorben war, hatte ihre Haltung das geborgene Leben seiner Kindheit durchdrungen. Es war dasselbe Gefühl gewesen, das er in Zeor von neuem entdeckt hatte. Anerkennung als Person, nicht als Körper.
    Für einen kurzen Augenblick fiel ihm Yenavas Wissenschaftsklasse im Schulgarten ein. So oder so – sie haben nichts zu fürchten, hatte sie gesagt. Es war später am gleichen Tag gewesen, daß ein kürzlich von außerhalb der Haushalte aufgenommener junger Gen Valleroy das Geheimnis der besonderen Fähigkeiten der Gefährten anvertraut hatte. Sie wußten von Kindheit an, daß sie sowohl als Sime wie auch als Gen einen sicheren Platz in der Erwachsenenwelt haben würden. Vielleicht war das die Eigenschaft gewesen, die Klyd während jenes Augenblicks zwischen den Gewächshäusern in ihm gespürt hatte.
    Aber es gehört mehr als Sicherheit in der Kindheit dazu, ein Gefährte zu werden, dachte Valleroy. Es bedurfte einer Ausbildung und Erziehung, die er nie haben würde. Zum Beispiel war unter Simes weithin akzeptiert, daß sowohl Simes als auch Gens Mutanten waren – und daß keine Gattung den Alten näherstand.
    Die Nichtgetrennten

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