Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
waren mir schnell wieder gegenwärtig gewesen. Trotzdem schämte ich mich ein wenig für das, was ich getan hatte, und verschwieg Soja die Ereignisse jenes Abends, als ich nach Hause zurückkehrte. Stattdessen erzählte ich ihr von Mr Trevors’ tragischem Schicksal und von dem Mitgefühl, dass Miss Simpson ihm angesichts seiner Verzweiflung entgegengebracht hatte.
An meinen Arbeitszeiten hatte sich nichts geändert. Um acht Uhr morgens erschien ich in der Bibliothek, und pünktlich um sechs Uhr abends verließ ich sie wieder. Die meiste Zeit verbrachte ich hinter dem Hauptpult und trug dort die Titel der Neuerwerbungen in unser Katalogsystem ein, wie ich es schon immer getan hatte. Lagen zu viele Bücher auf den Lesetischen herum, so half ich Miss Simpson beim Abräumen und Einsortieren, und benötigten Leser seltene Fachbücher, so trieb ich diese auf und sorgte dafür, dass sie ihnen so schnell wie möglich zur Verfügung standen.
Doch all dies war nun lediglich eine Tarnung für meine eigentlichen Pflichten.
Wollte man mir nur einen Briefumschlag zukommen lassen, so steckte mir jemand auf meinem Weg zur Arbeit eine Notiz in die Jackentasche, und zwar so unauffällig, dass selbst ich es nicht mitbekam. Für gewöhnlich handelte es sich um einen Zettel, auf den ein einziger Satz gekritzelt war, ein paar Wörter, die keine besondere Bedeutung hatten, etwa Bitte vergiss nicht, wir brauchen Milch, Soja , in einer Handschrift, die eindeutig nicht die meiner Frau war.
In der Bibliothek angekommen, vergewisserte ich mich, dass mich niemand beobachtete, und dann nahm ich Papier und Bleistift zur Hand, um mir die Wörter etwas genauer anzusehen.
B entspricht 2. V entspricht 22, die Quersumme macht 4. N ist 14, Quersumme 5. W ist 23, wieder Quersumme 5. B ist 2. M ist 13, wieder Quersumme 4. Z ist 26, Quersumme 8.
Bitte vergiss nicht, wir brauchen Milch, Soja .
2 455 248.
245–5248.
Die Signatur. Das Buch finden, den Brief entnehmen.
Den Brief lesen.
Den Brief übersetzen.
Den Brief vernichten.
Die Nachricht übermitteln.
War es mehr als ein einfacher Umschlag, zum Beispiel eine Reihe von Dokumenten, die übersetzt werden mussten, so kam mir morgens, wenn ich unsere Wohnung verließ, ein Mann entgegen, jedes Mal ein anderer, und rempelte mich kurz an, um sich sofort bei mir zu entschuldigen, wobei er sagte, er hätte besser darauf achten sollen, wo er langgehe. In diesem Fall suchte ich einen Eckladen in der Nähe des Museums auf, um mir eine Zeitung oder ein Stück Obst zu kaufen. Während ich das Obst prüfte, um mir den Apfel mit den wenigsten Druckstellen herauszupicken, ließ ich meine Aktentasche neben mir auf dem Boden stehen. Wenn ich sie dann wieder aufhob, war sie immer etwas schwerer als zuvor. Dann kaufte ich das Obst und ging.
Manchmal klingelte auch das Telefon im Museum, immer nachmittags um exakt vier Uhr zweiundzwanzig, und dann nahm ich den Hörer ab.
»Mr Samuels?«, fragte eine Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Tut mir leid, aber hier gibt es keinen Mr Samuels«, pflegte ich dann zu erwidern. Immer derselbe Wortlaut. Nicht die geringste Abweichung. »Hier ist die Bibliothek des British Museum. Wen möchten Sie sprechen?«
»Entschuldigung«, lautete die Antwort. »Man hat mir wohl die falsche Nummer gegeben. Ich dachte, ich sei mit dem Naturhistorischen Museum verbunden.«
»Ist nicht weiter schlimm, so was kann vorkommen«, sagte ich dann und legte den Hörer auf. In diesem Fall ging ich nach Feierabend nicht direkt nach Hause, zu Frau und Kind, sondern nahm einen Bus nach Clapham, wo an der Ecke von Lavender Hill und Altenburg Gardens eine Limousine auf mich wartete, die mich zu Mr Jones beförderte.
»Heute haben wir eine verdammt schwierige Sache für Sie, Mr Jatschmenew«, sagte er dann vielleicht, wenn ich bei ihm eintraf. »Glauben Sie, dass Sie das hinbekommen?«
»Ich kann’s versuchen«, erwiderte ich dann mit einem Lächeln, woraufhin er mich in einen abgeschiedenen Raum führte, wo er eine Reihe von Schriftstücken oder Fotografien vor mir ausbreitete. Oder er stellte mich vielleicht einem Raum voller Männer vor, die mir ihre Namen nicht nannten, mich aber, sobald ich durch die Tür hereinkam, mit Fragen bombardierten, die ich so klar und so selbstsicher wie möglich zu beantworten versuchte.
Einmal verbrachte ich eine ganze Nacht mit der Durchsicht eines dicken Stapels von Telegrammen und Briefen, insgesamt über dreihundert Seiten Text. Als ich Mr Jones
Weitere Kostenlose Bücher