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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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brauchte. Dann beugte sie sich wieder über die Halswunde und vernähte das ausgezackte Loch in der Speiseröhre.
    Sechs Stunden pilgerte Jewgenij Alexandrowitsch von Bunker zu Bunker, von Offizier zu Offizier, von Zuständigkeit zu Zuständigkeit. Er besuchte den Lazarettkommissar, drückte ihm die Hand und unterhielt sich mit ihm über das Schachspiel; er verhandelte mit dem Inspekteur des Sanitätswesens und erzählte vier scharfe Witze; er stand zwei Stunden im Vorbunker des Armeegenerals und versuchte dann zu erklären, daß ein Held auch mit einem Schulterschuß ein Held bleibe und den vaterländischen Krieg nicht in Kasachstan, sondern in Stalingrad beenden sollte. Zuletzt meldete er sich bei dem Generalstabschef der Heeresgruppe Stalingrad-Front, dem Genossen Generalmajor Warennikow, und schilderte ihm seine Nöte. Neben Warennikow saß ein freundlicher, rundköpfiger Mann, der Typ eines lieben Bäuerleins, und er lächelte Major Kubowski an und nickte öfter beifällig zu seinen Argumenten.
    Das machte ihm Mut. Er redete weiter, bis der freundliche Mann die Hand hob und abwinkte.
    »Ich glaube, wir sollten ihn vorläufig als Transportoffizier an der Wolgafähre einsetzen, bis er wieder kampffähig ist«, sagte er zu Generalmajor Warennikow. »Ich freue mich, daß der Genosse Major so an dieser Stadt hängt.«
    »Das wäre möglich, Genosse.« Generalmajor Warennikow winkte ebenfalls. Major Kubowski war entlassen. Vor der Tür traf er auf einen Hauptmann und hielt ihn fest.
    »Da drinnen sitzt ein lieber Mann«, sagte er. »Ich kenne ihn nicht. Aber er sieht aus wie ein Bauer und spricht wie ein General. Wer ist's, Brüderchen?«
    Der Hauptmann sah den Major verblüfft an. »Das ist ein Genosse vom Frontkriegsrat, direkt aus Moskau. Nikita Sergejewitsch Chruschtschow heißt er …«
    »Nie gehört.«
    »Ein unbekannter Mann, Genosse Major.«
    Kubowski ging weiter zur Leitstelle, um dort auf sein Kommando zu warten. Als er eintrat, wußte man bereits von ihm. Der Generalstabschef hatte angerufen. »Sie werden das Übersetzen der Panzer und Lkw über die Wolga leiten«, sagte ein Oberst zu ihm. »Leider kann ich Ihnen nur die Zentral-Fähre anbieten. Die Stadt-Fähre ist besetzt.«
    »Warum leider, Genosse Oberst?«
    »An der Zentral-Fähre haben wir die meisten Ausfälle außerhalb der Stadt. Sie liegt unter Beschuß schwerer deutscher Artillerie. Machen Sie es gut. Major.«
    So kam Jewgenij Alexandrowitsch Kubowski als Kommandant an die Wolga.
    Es war ein leichter Dienst, wenn man davon absah, saß er eine gute Lunge erforderte und eine genaue Kenntnis aller Flüche von Minsk bis Astrachan. Gebrüllt wurde vom Tag bis in die Nacht und die Nacht hindurch bis zum neuen Tag. Die gewalzte Straße über das Eis der Wolga war dauernd verstopft durch Idioten, die keinen Wagen lenken konnten, sich querstellten und alles blockierten. Dann schoben dreißig Rotarmisten das Fahrzeug von der Bahn. Am schlimmsten war es, wenn Pferdefuhrwerke kamen. Das war meistens nachts. Sie brachten Verpflegung für die Zivilbevölkerung Stalingrads, die immer noch zu Tausenden in den Kellern hockten oder am Steilhang, in den Erdlöchern, wimmelnde Riesenratten, die den Sanitätern halfen, die Wasser und Tee nach vorne schleppten, die die Verwundeten aus den Trümmern zogen, die Brot backten und Suppen kochten. Eine große Familie waren sie alle, die ehemaligen Fabrikarbeiterinnen aus den Traktoren- und Kanonenwerken, die Mütter und die Greise, ja selbst die Kinder, die in den Feuerpausen durch die zerstampfte Stadt krochen und Holz sammelten. Für sie brachten die Panjewagen das Essen heran. Major Kubowski raufte sich die Haare, wenn er die Kette der Pferdewagen kommen sah. Gleichzeitig drängten die Panzer zur Wolga, die Kompanien der Ersatztruppen, die Werkstattwagen, Verwundetentransporte, Kesselwagen mit Benzin und Motorenöl. Sie alle wollten über die Wolga, über einen schmalen Streifen dicken, glatten Eises, und Kubowski schrie sich die Lunge wund, regelte den Verkehr und wurde mit Namen bedacht, die vom Wolfshund bis zum Bastard einer mongolischen Hure reichten.
    Am 30. Dezember 1942, bei 32 Grad Kälte und einem eiskalten Wind aus der Steppe von Kasachstan, stand Jewgenij Alexandrowitsch Kubowski, eingehüllt in einen dicken Schafspelz, auf dem Wolgaufer und kontrollierte die Marschpapiere einer Minenwerferabteilung. Er hatte schon den ganzen Tag über ein dummes Gefühl gehabt. Olgaschka hatte ihn angerufen und ihm gesagt,

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