Das Herz der Dunkelheit: Psychothriller (German Edition)
hatte sich nie großen Reichtum gewünscht; er wusste, dass er ein gutes Leben hatte und mit mehr Annehmlichkeiten gesegnet war, als ihm zustanden, dass er alles hatte, worauf es im Leben wirklich ankam. Familie, Liebe, Gesundheit, ein Zuhause, das er liebte; die Fähigkeit, mitzuhelfen, den Hochzeitstag seines Dads denkwürdig zu gestalten; einen gelegentlichen Luxus wie die Karten für die morgige Don-Pasquale- Aufführung, die er schon vor Monaten gekauft hatte. Sam schwärmte für Opern, auch wenn er jetzt schon lange nicht mehr selbst gesungen hatte.
Er war ein Glückspilz, und er wusste es.
Aber ausnahmsweise einmal wäre er gern reich genug gewesen, um jedes Mitglied seiner Familie irgendwohin in Sicherheit zu bringen. Nur so lange, bis sie diesen Killer – Nachahmer oder Cooper – hinter Schloss und Riegel gebracht hatten.
Dann, und erst dann, würde sich Sam ruhig zurücklehnen können.
21
24. April
Am späten Samstagabend, im Trubel einer halbwilden Party in einem Lagerhaus in der NE 2nd Avenue in Wynwood, sah sich der Mann, der eben seine neueste Mission in Angriff genommen hatte, zum ersten Mal in dem Gedränge um sich fuchtelnder Tänzer und Trinker um – und er wusste es.
Sobald sein Blick auf ihn fiel.
Das war, so glaubte er allmählich, sein größtes Talent.
Zu wissen, wen er für seinen Boss auswählen sollte.
Nicht für sich selbst – in der Hinsicht war er noch nie begabt gewesen, aber dem Mann schien er es fast jedes Mal recht zu machen, was einer der Hauptgründe war, weshalb er noch immer auf seiner Gehaltsliste stand.
Aber nicht der einzige Grund.
Er nahm einen kräftigen Schluck des lausigen Wodkas, den ihm irgendjemand gereicht hatte, und bahnte sich einen Weg durch das Gedränge.
Blickkontakt war bereits aufgenommen.
Augen waren dem Mann sehr wichtig, und die Augen dieses Typen waren nahezu vollkommen. Dunkel. Freundlich. Kühn.
Er war in Stimmung dafür, keine Frage.
»Hey«, sagte er.
»Hey«, erwiderte der andere mit leiser, warmer Stimme.
Schöne Stimmen mochte der Boss auch.
»Gehen wir ’n bisschen raus?«
Gab keinen Grund, noch länger hier herumzuhängen.
Jeden Grund, es nicht zu tun.
»Na klar«, nickte der andere Typ. »Warum nicht?«
Er roch okay, soweit man das in diesem stinkenden Loch mit billigem Parfüm, Körpergerüchen und allem möglichen Rauch überhaupt sagen konnte.
Duft war noch ein Pluspunkt.
»Ich bin Rico«, stellte die Zielperson sich vor.
Irgendwo weiter hinten in dem Lagerhaus gab es einen Knall, und ein paar Frauen kreischten auf, und dann hörte man johlendes Gelächter, und es knallte noch ein bisschen mehr, knisternd, wie ein Feuerwerk vielleicht.
»Hast du einen Namen?«, wollte Rico wissen.
»Du kannst Toy zu mir sagen.«
»Das gefällt mir.«
Aus der Ferne hörten sie Sirenen, die näher kamen.
»Verschwinden wir von hier«, sagte Toy.
Mission, Phase eins: erledigt.
22
25. April
Am Sonntag schlug Grace’ Stimmung schmerzlich um.
Die Hochzeit, die Oper, die schönen Ablenkungen waren vorbei, als hätten all die Vorbereitungen und der große Tag selbst und schließlich der Ausgehabend gestern mit Sam eine Art schützende Hülle gebildet, die die pechschwarze Finsternis der Bedrohung fernhielt, die Grace noch immer bedrückend über ihnen spürte.
Ihre ganze Beklemmung war heute wieder da.
Sam arbeitete, ermittelte mit Martinez weiter in dem Mord an dem unbekannten Toten. Sie wusste, wie frustrierend es für die beiden war, im Nebel zu stochern. Und sie wusste auch, dass Sam hinter Cathys und Sauls Einladung zum Mittagessen in ihrer gemeinsamen Wohnung in Sunny Isles Beach steckte. Das ging Grace ein bisschen gegen den Strich; es rief ihr in Erinnerung, dass ihre Nervosität ihren Mann beunruhigte.
Nicht, dass sie nicht gern mit Cathy und Saul zusammen war, und sie war gerührt von ihrer Besorgnis. Aber selbst nachdem sie längst gegessen und noch ein paar Stunden geplaudert hatten, versuchten die beiden ganz offensichtlich, Grace und Joshua bei sich zu behalten, bis Sam nach Hause kam.
»Auf dieses Spielchen lasse ich mich gar nicht erst ein!«, protestierte Grace. »Die Polizei von Bay Harbor fährt noch immer Streife. Und selbst, wenn nicht – ich bin überzeugt, dass ich absolut sicher bin.«
»Dann nimm wenigstens Saul mit«, bat Cathy, »damit er das Haus überprüft.«
»Es würde mich sehr beruhigen«, nickte Saul.
»Du lieber Himmel!«, seufzte Grace. »Das ist so unnötig.«
»Das glauben wir
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