Das Herz der Hoelle
Gerüchte. Man munkelte, dass diese Organisation manchmal auf merkwürdige Art und Weise über enttäuschte Hoffnungen hinweggetröstet haben soll … Wenn der Mensch eine gewisse Schwelle der Verzweiflung überschritten hat, ist er bereit, alles zu glauben, alles auszuprobieren.«
»Wie ruft man den Teufel an?«
»Korrupte, absolut skrupellose Individuen von Unital6 nutzen die Verzweiflung und innere Not von Menschen aus und schlagen ihnen diesen vor. Schwarze Messen, Teufelsanbetungen, ich weiß nicht, was noch …«
Die Warnung des ausgemergelten Priesters: »In der Finsternis gibt es mehrere Fronten.« Bislang zählte ich drei. Die Lichtlosen und die Morde unter satanischem Einfluss. Die Killer, die hinter mir her waren und die die Höllenpforte zu beschützen schienen. Und jetzt diese Falschmünzer des Jenseits, diese Schacherer schwarzer Wunder …
»Glauben Sie, dass sich die Eltern von Agostina haben überreden lassen?«
»Die Mutter, nicht der Vater. Er glaubte an nichts. Sie glaubte an alles.«
»Hat sie eine schwarze Messe bezahlt?«
»Ich bin mir sicher.«
»Und dieses Mal wurde der Hilferuf erhört?«
Er öffnete seine Hände und schloss sie dann wieder wie einen Bühnenvorhang.
»Man kann sich eine Gegenkraft zu diesem Geist der Liebe vorstellen, so wie es im Universum eine Antimaterie gibt. Diese Gegenkraft hat auf Agostina eingewirkt. Eine fundamentale Energie des Hasses, des Lasters und der Gewalt hat bewirkt, dass sich ihre Krankheit zurückbildete. Man kann sie den ›Teufel‹ nennen. Man kann ihr einen x-beliebigen Namen geben. Der gefallene, böse Engel, der ständig unsere christliche Zivilisation bedroht, ist nur das Symbol dieser Gegenkraft.«
»Als Agostina aus dem Koma erwachte, deutete nichts darauf hin, dass sie vom Teufel besessen ist.«
»Das stimmt. Aber ich wusste, dass Lourdes und unser Herrgott nichts damit zu tun hatten. Ich witterte das Komplott. Ich misstraute der unwissenden, abergläubischen Mutter. Und dann war da auch noch Unital6, das nach Schwefel roch …«
»Haben Sie das Kind befragt?«
»Nein, aber ich habe Agostina heranwachsen sehen. Ich habe gesehen, wie sich die Schlange entwickelte.«
»Woran?«
»An kleinen Verhaltensauffälligkeiten. An Wörtern, an Blicken. Agostina sah aus wie ein Engel. Sie betete. Sie begleitete Kranke nach Lourdes. All das war bloße Verstellung. Vernebelung. Der Teufel war in ihr. Er wuchs wie ein Krebsgeschwür.«
Doktor Buchholz wirkte auf mich wie ein verdammter Spinner.
»Haben Sie schon von den Lichtlosen gehört?«
Er lachte auf:
»Das bestgehütete Geheimnis des Vatikans!«
»Aber Sie haben davon gehört?«
»Fünfundzwanzig Jahre Lourdes, sagt Ihnen das etwas? Ich bin ein alter Kämpe. Die Lichtlosen, der Hölleneid …«
»Glauben Sie, dass Agostina einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat?«
Er öffnete seine Hände wieder.
»Sie müssen ein Grundprinzip verstehen. Der Teufel wartet den letzten Moment ab, um seinen Opfern zu erscheinen. Er lauert auf den Tod. Erst in diesem Augenblick hilft er ihnen aus der Klemme. All dies geschieht in der Vorhölle, wenn sich das Leben bereits zurückgezogen, der Tod aber noch nicht seines Amtes gewaltet hat. Je länger nun aber der Betreffende zwischen den Welten verweilt, umso tiefer, intensiver ist seine Zwiesprache mit dem Teufel. Für die positiven Nahtod-Erfahrungen gilt im Prinzip das Gleiche. Je länger das Erlebnis dauert, desto präziser sind die Erinnerungen. Und umso stärker ist der Betreffende anschließend aus der Bahn geworfen.«
»War Agostina klinisch tot?«
»Ja. In der letzten Nacht war sie entschlafen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ihre Mutter hat mich angerufen.«
»Sie, tausend Kilometer entfernt?«
»Sie vertraute mir. Ich war der einzige Mediziner, der sie bei sich zu Hause, in Paterno, besucht hatte. Hören Sie.« Er faltete die Hände. »Agostina starb. Nach meinen Informationen hat ihr Herz mindestens dreißig Minuten lang stillgestanden. Das ist ungewöhnlich. In diesem Moment hat sie der Teufel gezeichnet, tief in ihrem Innern.«
»Aber sie hat mit Ihnen nie darüber gesprochen?«
»Nie.«
Ich war gekommen, um die rätselhafte Wunderheilung Agostinas aufzuklären. Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Der Mann folgte, auf
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