Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)
habe ich noch nie in meinem Leben gesehen.«
KAPITEL 25
»Wie kommst du zurecht?«, fragte Henry, nachdem sie etwa eine Viertelmeile gelaufen waren. »Gehe ich zu schnell für dich?«
»Alles okay«, sagte Brianne, obwohl kleine Stöcke und Steine unablässig in die Sohlen ihrer nackten Füße stachen und ihre Waden von dem unebenen Gelände schon ganz hart waren. Erstaunlicherweise tat ihr Knöchel gar nicht mehr weh.
»Was ist mit den schicken Schuhen passiert, die du anhattest?«
»Ich hab die blöden Dinger weggeschmissen.«
Er lachte. »Kluge Entscheidung. Sie waren nicht direkt zum Wandern in den Adirondacks gemacht. Obwohl ich zugeben muss, dass sie ziemlich toll aussahen.«
Brianne lächelte. »Danke.«
»Und wahrscheinlich haben sie ein kleines Vermögen gekostet.«
»Eher ein etwas größeres.« Sie seufzte, und ihr Lächeln verblasste schnell. »Meine Mom bringt mich um.«
»Ja. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass sie über all das nicht besonders erfreut sein wird.«
Brianne seufzte erneut. Sie hatte dem Park Ranger schon erzählt, wie sie sich in der Nacht mit Tyler davongeschlichen hatte – dass sie schon am Nachmittag in flagranti erwischt worden waren, hatte sie geflissentlich unerwähnt gelassen. Ja, dachte sie. Henry hatte recht. Ihr Mutter würde nicht besonders erfreut sein. »Vielleicht könnten Sie zuerst mit ihr sprechen und sie ein bisschen milder stimmen.«
Henry lächelte schüchtern. »Ich kann es versuchen.«
Brianne dachte, dass der Ranger süß aussah, wenn er lächelte, und sie fragte sich unwillkürlich, ob er eine Freundin hatte. Obwohl ihre Mutter garantiert der Ansicht wäre, dass er zu alt für sie war, dachte sie, schon wieder ärgerlich auf sie. Er war immerhin ein verantwortungsbewusster, fleißiger, junger Mann, der sie davor gerettet hatte, von einem Bären gefressen zu werden, Herrgott noch mal. Das musste doch irgendwas zählen. »Sind wir bald da?«, fragte sie nach weiteren zehn Minuten, bemüht, nicht allzu quengelig zu klingen.
»Wir müssten bald da sein.«
»Sind Sie sicher, dass Sie den Weg kennen?«
Henry lachte. »Ich würde sagen, ich kenne diese Wälder wie meine eigene Hand«, scherzte er, »aber ich möchte ja nicht, dass du dich wieder übergeben musst.«
Brianne sah ihn grimmig an und versuchte die Erinnerung an die wachsartigen, toten Finger der abgetrennten Hand in ihrer eigenen zu verdrängen. »Als ob ich noch irgendwas im Magen hätte, das ich auskotzen könnte.«
Henry kniff die Augen zusammen. »Wann hast du denn zum letzten Mal was gegessen?«
»Gestern Morgen zum Frühstück.«
»Du hast seit vierundzwanzig Stunden nichts gegessen?«
Brianne zuckte die Achseln, als ob das keine große Sache wäre. Sie hatte sich geweigert, die Hotdogs zu essen, die gestern am Lagerfeuer gegrillt worden waren, obwohl sie köstlich gerochen hatten. »Ich bin Vegetarierin«, hatte sie ihre Mutter gereizt erinnert, obwohl sie beide wussten, dass das streng genommen und auch im weiteren Sinne nicht stimmte. In Wahrheit gefiel ihr die Idee, vegetarisch zu leben, sehr viel besser als die Praxis. In Wahrheit mochte sie nichts lieber als ein gutes, saftiges Steak. In Wahrheit war sie kurz vorm Verhungern. »Ich habe wirklich ziemlichen Hunger«, gab sie nach einigen weiteren Minuten zu.
»In der Hütte machen wir dir was zu essen«, sagte Henry.
»In der Hütte?«
»Man sollte sie jetzt jeden Moment sehen können.« Wie auf Stichwort tauchte hinter einer dünner werdenden Baumreihe plötzlich eine Schotterstraße auf, an deren Ende sich wie eine Fata Morgana eine kleine Hütte abzeichnete.
»O mein Gott«, rief Brianne. »Das muss die Hütte sein, von der Tyler gesprochen hat.«
Henry blieb abrupt stehen. »Tyler hat dir von einer Hütte erzählt?«
Brianne ergänzte hastig ein paar Einzelheiten, die sie in ihrer ersten Version der Geschichte ausgelassen hatte: dass sie und Tyler sich gestritten hatten und er beleidigt weggegangen, jedoch später zurückgekommen war und berichtet hatte, dass er etwa eine Meile entfernt eine Straße und eine kleine Hütte entdeckt hatte; dass sie wegen ihres verstauchten Knöchels nicht hatte weiterlaufen können, weshalb Tyler allein weitergegangen war. »Wessen Hütte ist es?«
»Meine«, sagte Henry.
»Deine?«
»Nun, sie hat meinen Eltern gehört. Und die haben sie mir nach ihrem Tod vermacht.« Er ging weiter. »Ein Autounfall«, sagte er beiläufig über die Schulter, bevor sie fragen konnte.
»Das ist ja
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