Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)
einen Moment darüber nachzudenken. »Und was ist mit Brianne?«, fragte er.
»Was soll mit ihr sein? Wir haben keine Zeit, uns um sie zu kümmern. Wir hauen einfach ab.«
»Oder wir nehmen sie mit.« Er rannte schon zu dem zweiten Schlafzimmer im hinteren Teil der Hütte.
Nikki war direkt hinter ihm. »Was? Nein. Das hatten wir doch schon entschieden.«
»Planänderung.« Er trat an das Bett, auf dem Brianne auf einer Flickendecke schlief, an den Kleidern immer noch welke Blätter. »Los. Hilf mir.«
»Einen Teufel werde ich tun.«
»Wie du willst.« Er hob das schlafende Mädchen mit beiden Armen hoch. Brianne regte sich leicht, wachte jedoch nicht auf.
»Das ist Wahnsinn. Für den Scheiß haben wir keine Zeit. Sie können jeden Moment hier sein.«
»Dann müssen wir uns eben beeilen.«
»Mit ihr fahre ich nirgendwohin.«
»Sei nicht dumm«, sagte er und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
Das waren drei , dachte Nikki, ließ sich aufs Sofa fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. Wie hieß noch der blöde Spruch – drei Treffer, und man war draußen? Sie wusste nicht, warum sie sich so stur anstellte, warum sie ihm nicht einfach half wie sonst auch, aber da war etwas … irgendwas an diesem Mädchen, etwas an der Art, wie er sie ansah, wie er sich in ihrer Gegenwart benahm … Wenn er zwischen ihnen beiden wählen müsste, würde er bestimmt …
»Wie du willst«, sagte er noch einmal, blieb kurz an der Haustür stehen, warf Brianne über seine Schulter, öffnete die Tür und trat aus der Hütte.
»Was machst du? Die werden dich sehen!«, rief Nikki ihm nach, obwohl sie wusste, dass die Bäume um das Haus genug Schutz boten.
Wahrscheinlich lief er zur Rückseite der Hütte, wo sie ihren Wagen versteckt hatten. Sie hörte, wie der Kofferraum quietschend geöffnet und wieder zugeschlagen wurde. Das war lächerlich, dachte sie. Dieses blöde Mädchen verdarb alles. Sie hätte ihr die Kehle aufschlitzen sollen, als sie sie zum ersten Mal gesehen hatte.
Und genau das würde sie tun, entschied sie. Sobald sich eine Gelegenheit ergab. Wenn Henry oder Kenny oder Matthew, scheiß Ismael oder wie immer er sich zu nennen beliebte, glaubte, er könnte sie einfach so austauschen, er könnte sie anschreien und als dumm beschimpfen, dann kannte er sie längst nicht so gut, wie er dachte. Sobald sie irgendwo zum Tanken hielten, sobald er ausstieg, um zu pinkeln, würde sie den verdammten Kofferraum öffnen und dem blöden Gör die Halsschlagader durchschneiden.
Das war mal ein Plan. Sie wollte sich gerade entschlossen mit beiden Händen von dem Polster abstoßen, als ihre Finger etwas Kaltes und Hartes berührten. Die Pistole, dachte sie und packte zu.
Und im selben Augenblick sah sie sie in der offenen Tür stehen, eine bunt gemischte Truppe von Leuten, die aussahen, als hätte man sie beim Zirkus nicht genommen: eine attraktive Frau mittleren Alters mit dunkelblondem Haar und einem leicht irren Blick; eine von Kopf bis Fuß schwarz gekleidete kleine Frau, deren Gesicht halb hinter dunklen Haarsträhnen und halb hinter einer riesigen Brille verborgen war; ein dünner, leicht weibisch aussehender Mann mit stacheligem, karottenrotem Haar; und – last not least – Jennifer mit den großen Titten und den endlos langen Beinen. Sie erkannte sie als die Gruppe wieder, die sich gestern Nachmittag in der Lobby des Hotels gestritten hatte.
»Hi«, begrüßte die erste Frau sie, bevor Nikki etwas sagen konnte. »Entschuldigung, wir wollten Sie nicht erschrecken.«
Nikki ließ die Pistole unbemerkt in die Seitentasche ihres Kleids gleiten. »Was wollen Sie?« Sie fragte sich, wo Henry war und was er machte, ob er sie beobachtete und sich nur Zeit ließ oder ob er Vorkehrungen traf, ohne sie loszufahren.
»Ich heiße Val. Das sind meine Freunde«, begann Val. »Wir suchen meine Tochter. Wir hatten gehofft, dass Sie sie vielleicht gesehen haben.«
»Nein«, sagte Nikki und ließ den Blick nervös über die Gruppe wandern. »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Sie ist ein hübsches Mädchen. Etwa in Ihrem Alter. Ungefähr 1,65 Meter groß, schlank mit langen, braunen Haaren.«
»Tut mir leid. Hab ich nicht gesehen.«
»Sie heißt Brianne«, fuhr Val fort, als ob Nikki nichts gesagt hätte.
»Tut mir leid«, sagte Nikki noch einmal.
»Wie heißen Sie?«, fragte die Frau in Schwarz und machte unaufgefordert ein paar Schritte ins Wohnzimmer. »Sie kommen mir irgendwie bekannt vor. Sind wir uns schon mal
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