Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)
einfach«, hatte ihre Freundin Melissa ihr einmal erklärt. »Du schreitest.«
»Ich finde ›hüpfen‹ trifft es besser«, hatte ihr Freund James eilig korrigiert.
»Ich hüpfe?«
»Wie ein neugeborenes Fohlen.«
»Ich laufe wie ein Pferd?«
»Es sieht ganz reizend aus«, hatte Melissa ihr versichert.
Reizend. Ja, klar, dachte Val und bereute ihre spontane Selbstlosigkeit bereits, während sie sah, wie Jennifer anmutig die sechs Stufen zu ihrer Haustür hinaufstieg. Wie konnte sie sich auf diesen turmhohen Plateauschuhen überhaupt bewegen, fragte sie sich und stellte sich vor, wie Jennifer in den Adirondacks über einen großen Fels stolperte und in den Shadow Creek fiel. So viel zum Thema Selbstlosigkeit.
Jennifer öffnete die Haustür, betrat das klimatisierte Haus und blieb in dem grau-gold gesprenkelten Marmorflur stehen.
Val wies auf das Wohnzimmer zu ihrer Linken. »Fühlen Sie sich wie zu Hause«, sagte sie und registrierte mit nicht geringer Befriedigung, wie Jennifer zusammenzuckte.
»Vielleicht sollte ich doch draußen warten«, sagte Jennifer, ohne sich von der Stelle zu rühren.
»Seien Sie nicht albern. Ich beiß Sie schon nicht.«
Jennifer nickte, wirkte jedoch alles andere als überzeugt.
»Möchten Sie ein Glas Eistee?«
»Nein danke.«
»Sind Sie sicher? Ich hole mir welchen.«
»Warum sind Sie so nett zu mir?«, fragte Jennifer.
Val zuckte mit den Schultern. Warum war sie so nett? »Es ist nur ein Glas kalter Eistee. Nehmen Sie es oder lassen Sie es bleiben.«
»Also, okay. Eistee klingt super. Wenn es Ihnen auch ganz bestimmt keine Umstände macht.«
»Überhaupt keine Umstände.« Val führte die nervöse junge Frau in das kürzlich renovierte Wohnzimmer und wies auf das neue lilafarbene Samtsofa vor dem bleigefassten Fenster zur Straße. »Wie Sie sehen, habe ich seit Ihrem letzten Besuch ein paar Veränderungen vorgenommen.« Ihr Ton war freundlich. Sogar beiläufig. Val sah, dass Jennifer nicht wusste, ob sie sich entspannen oder doch lieber Reißaus nehmen sollte. Nun, wer weiß, dachte sie. Vielleicht hatte sie die Frau vor allem deshalb in ihr Haus eingeladen, um sie zappeln zu sehen. Das könnte richtig spaßig werden. »Ich bin gleich wieder da.«
Brianne wartete in der Küche auf sie. »Was machst du?«, zischte sie.
»Ich hole unserem Gast einen Eistee.«
»Bist du verrückt?«
»Wahrscheinlich. Hast du gepackt?«
Brianne ließ die Schultern sacken und verdrehte die Augen zur Decke. »Versuchst du, bei Dad Punkte zu machen oder was?«
»Sei nicht albern.« Versuchte sie das, fragte Val sich.
»Ich bin nicht diejenige, die sich albern benimmt«, sagte Brianne, bevor sie aus dem Zimmer stampfte.
»Und zieh dich an«, rief Val ihr nach. Nun, wo war sie stehen geblieben? »Ach ja. Ich wollte der hinreißenden Jennifer einen Eistee holen.«
Jennifer war in der Tat hinreißend, wie Val zugeben musste. Sie sah kein bisschen aus wie ein Flittchen. Sie war groß und schlank mit üppigen Brüsten, schmalen Hüften und einer beneidenswert schlanken Taille. Ihr dunkelblondes, stufig geschnittenes Haar fiel in teuer gestylten Wellen bis auf ihre Schultern und rahmte ihr herzförmiges Gesicht ein. Sie hatte große, blaue Augen, hohe und ausgeprägte Wangenknochen und verführerisch volle Lippen. Und ihre Beine waren endlos lang.
Bis zur Decke, dachte Val und stellte sich diese Beine erneut auf den Schultern ihres Mannes vor.
»Scheiße«, flüsterte sie, verdrängte das Bild und suchte gleichzeitig ihr eigenes Spiegelbild in der dunklen Scheibe der Mikrowelle zu meiden. So hatte sie früher auch ausgesehen, zumindest ein wenig, korrigierte sie sich, als sie zwei Gläser aus einem Schrank nahm und mit Eistee füllte. Mit 1,67 Meter war sie relativ groß, wenngleich immer noch etwa fünf Zentimeter kleiner als Jennifer, und sie war Zeit ihres Lebens schlank gewesen, selbst wenn sie knapp zehn Pfund schwerer war als ihre Nachfolgerin, die zudem den Vorteil hatte, zehn Jahre jünger zu sein als sie selbst. Sie hatten grob die gleiche Haarfarbe, obwohl Vals Haar einen Tick dunkler, lockiger und deshalb krauser war. Aber ihre Augen waren weder so groß noch so blau wie Jennifers. Und ihre Lippen waren schmaler und gewöhnlicher und schafften es auch geschlossen nicht, sich zu einem ähnlich verführerischen Schmollmund zu verziehen.
»Ich will mir die Lippen machen lassen«, hatte Brianne vorhin verkündet, und Val hatte sich gefragt, wer ihrer Tochter solche Flausen in den
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