Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)
Kindern bloß an?«, fragte Val.
»Nichts Schlimmeres als unsere Eltern uns«, antwortete Gary nüchtern. »Irgendwie schaffen wir es alle zu überleben.«
»Wirklich?«
Erneutes Schweigen. Wieder knackte und knisterte das süß duftende, brennende Holz. Val sah, dass James und Melissa sich einer kleinen Gruppe von Campern zugesellt hatten, die Marshmallows über dem offenen Feuer rösteten, während James einen erstaunlich melodischen Vortrag von My Favorite Things anführte. Sie versuchte zu erkennen, ob Brianne bei der Gruppe war.
»Und wie lange ist das alles her?«, fragte Val und dachte, dass ihre Tochter wahrscheinlich lieber tot umfallen würde, als am offenen Feuer Lieder zu singen. Sie beugte sich, unvermittelt fröstelnd, vor und schlang die Arme um ihre Beine.
»Etwa vier Jahre, glaube ich. Manchmal kommt es mir vor wie gestern, manchmal wie aus einem anderen Leben. Oder dem Leben eines anderen«, fügte Gary nachdenklich hinzu. »Du zitterst. Ist dir kalt?«
»Ein bisschen.«
»Wir können näher ans Feuer rücken.«
»Nein, ist schon okay. Hast du inzwischen jemand Neuen kennengelernt?«
»Offen gestanden habe ich gerade eine wirklich reizende Frau getroffen.«
»Oh.«
»Also, eigentlich kannte ich sie schon von früher.«
»Oh?«
»Wir waren nämlich zusammen auf der Highschool.«
Val lächelte. »Ach ja?«
»Ja. Sie war ein lebhaftes, kleines Ding. Ich war schon immer ein bisschen verknallt in sie.«
»Tatsächlich?«, fragte Val.
»Nun, eigentlich nicht«, gab Gary zu. »Aber ich war bloß ein großer, tumber Klotz. Was wusste ich schon?«
Val lachte.
»Aber ich glaube, jetzt bin ich ein bisschen in sie verknallt.«
Val lachte. Und dann beugte er sich plötzlich vor und küsste sie. Und sie beugte sich ihm ebenso plötzlich entgegen und küsste ihn zurück. Und es fühlte sich gut an. Verdammt, es fühlte sich großartig an. Sie hatte fast vergessen, wie gut sich Küssen anfühlen konnte.
Das war verrückt. Was machte sie, dachte sie im nächsten Atemzug, während sie gleichzeitig versuchte, alle Zweifel zu verdrängen und am besten gar nichts zu denken, sondern nur im Augenblick zu existieren. Aber das schaffte sie nicht. Was, wenn Jennifer sie beobachtete? Oder schlimmer noch Brianne? Hatte sie ihrer Tochter nicht gerade eine Standpauke gehalten, weil sie in aller Öffentlichkeit Sex gehabt hatte? Was für ein Vorbild bot sie? Unvermittelt drehte sie den Kopf zur Seite und hielt Ausschau nach ihrer Tochter, sodass Garys Lippen über ihre Wange glitten und sich in ihrem Haar vergruben.
Er lachte, und sein Atem kitzelte ihren Hals. »Das war interessant.«
»Tut mir leid.«
»Stimmt irgendwas nicht?«
»Das ist wahrscheinlich keine so gute Idee.«
»Okay«, sagte er leichthin und löste sich aus der Umarmung.
»Es ist bloß …«
»Du musst nichts erklären.«
»Es ist nicht so, als ob es nicht schön gewesen wäre oder mir nicht gefallen hätte. Es war schön und … hat mir gefallen … sehr sogar.«
»In diesem Fall könnten wir es vielleicht irgendwann noch mal machen.«
»Wann?« Die Frage rutschte Val einfach so heraus und erwischte sie beide unvorbereitet.
»Wie wär’s mit später?«, schlug Gary mit funkelnden Augen vor. »Wenn alle schlafen.«
Val nickte. »Das könnte funktionieren.« Was sagte sie da? Verabredete sie gerade wirklich ein mitternächtliches Rendezvous mit einem Mann, den sie ungeachtet ihrer Verbindung aus der Vergangenheit praktisch kaum kannte?
Sie atmete tief ein und ließ ihren Blick am Rand des Campingplatzes entlangwandern. Melissa und James sangen immer noch, Jennifer tat so, als wäre sie in ihr Buch vertieft, aber Brianne war nirgends zu sehen. »Ich kann meine Tochter nirgends entdecken. Siehst du sie irgendwo?«
Gary reckte den Hals und blickte über die Menge. »Vielleicht ist sie in ihrem Zelt.«
»Ich sollte besser nachsehen.«
Sofort war Gary auf den Beinen und bot Val seine helfende Hand an. Eilig gingen sie zu den Zelten. »Brianne?«, rief Val, als sie zum Ende des Campingplatzes kamen. Sie bückte sich, um im ersten der drei Zelte nachzuschauen, die sie gemietet hatten, obwohl sie schon wusste, dass Brianne nicht dort sein würde.
Genauso wenig wie in dem zweiten und dem dritten Zelt.
»Wo zum Teufel steckt sie?« Val stellte sich auf Zehenspitzen und spähte in die Dunkelheit.
»Kann es sein, dass sie mit meinem Sohn zusammen ist?«
»Wie kommst du darauf?«
»Nur so eine Ahnung. Ich habe sie eben miteinander
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