Das Herz Des Daemons
hatte, vermutete man dahinter einen - wenn auch ziemlich pietätlosen - Streich, der nur dem betroffenen Nachtwächter gegolten hatte.
Den ganzen Tag über gab es neben Julien DuCraine und Dawn Warden ein zweites Thema: Die lebende Leiche!, deren Story mit jeder Pause makaberere Züge annahm. Etwas, worüber Julien sich insgeheim köstlich zu amüsieren schien. Zur Abwechslung war es tatsächlich geradezu
entspannend,
zumindest
nicht
direkt
Gesprächsthema Nummer eins zu sein.
Je näher der Termin mit meinem Onkel rückte, umso unruhiger wurde ich. Warum, konnte ich mir selbst nicht erklären, aber es war so. Entweder ich starrte aus dem Fenster oder ich kritzelte Strichmännchen auf meinen Block. In Erdkunde verwechselte ich Berlin mit Paris, beantwortete kurz darauf eine Frage, die bereits vor fünf Minuten gestellt worden war, und entdeckte zu allem Überfluss in englischer Literatur, dass ich anstelle des Dorian Gray meine Spanischlektüre aus dem Spind genommen hatte. Alles in allem: Der Tag war ein absolutes Desaster. Es war nur Julien zu verdanken, dass ich mir in der Kantine nicht auch noch die Spaghetti mit Tomatensoße überkippte - zu denen er mich gezwungen hatte und die ich letztlich weitestgehend unberührt wieder auf das Geschirrband stellte.
Schlimmer
konnte
das
Treffen
mit
meiner
Verwandtschaft eigentlich auch nicht mehr werden ... Mein Großonkel und Onkel Samuels Anwalt waren auf die Minute pünktlich. Schlag sechzehn Uhr hielten ein silbergrauer Bentley mit getönten Seiten-und Heckscheiben und ein weißer Infiniti vor dem Haus. Ein Chauffeur sprang aus dem Bentley und öffnete den hinteren Schlag. Der Mann, der mit träger Eleganz ausstieg, war mittelgroß, schlank und breitschultrig. Sein lockiges schwarzes Haar berührte gerade den Kragen seines Maßanzuges: mein Großonkel Vlad - oder auch Fürst Vlad. Er sagte etwas zu dem Chauffeur, woraufhin dieser nickte, und wandte sich dann dem zweiten Wagen zu.
Bevor ich mehr sehen konnte, scheuchte Julien mich schon ins hintere Wohnzimmer, da es sich seiner Meinung nach nicht gehörte, dass sich die Princessa Strigoja - auch wenn sie ihren Wechsel noch nicht hinter sich hatte - an der Scheibe die Nase platt drückte wie ein kleines Kind zu Weihnachten vor dem Spielwarenladen. Er weigerte sich die Tür zu öffnen, bis ich nicht darin verschwunden war.
Gleich darauf hörte ich Stimmen im Korridor, Schritte näherten sich und dann stand mein Großonkel im Durchgang. Innerhalb eines Sekundenbruchteils schien sein Blick den ganzen Raum erfasst zu haben, dann wandten sich seine großen grünen Augen mir zu.
Mein Mund war vollkommen ausgedörrt. Ich
versuchte ein schüchternes Lächeln. Zu meiner Überraschung erwiderte er es, kam zu mir und küsste mich auf beide Wangen. Dann hielt er mich ein Stück von sich weg und begutachtete mich.
»Du siehst wohl aus, mein Kind. - Ist hier alles zu deiner Zufriedenheit?« Er hob die Hand zu meinem Hals, berührte mich aber nicht. »Dein Verband ...?«
»Kann bald endgültig ab. - Und es ist alles bestens. Vielen Dank, dass du das alte Anwesen wieder hast herrichten lassen. Es ist wunderschön geworden ...« Das klang ganz fürchterlich steif, aber ich wusste nicht, was ich sonst hätte sagen sollen. Abgesehen von seinen Besuchen im Krankenhaus - bei denen er bis auf den ersten immer in Begleitung anderer Fürsten gewesen war - hatten wir nur ein paarmal miteinander telefoniert. Ich war regelrecht erleichtert, als er nickte, einen Schritt zurück machte und mir den Mann, der hinter ihm den Raum betreten hatte, als Mr Mollins vorstellte, den Anwalt meines verstorbenen Onkels Samuel Gabbron. Der schüttelte höflich meine Hand und bekundete mir murmelnd sein Beileid. Ich verbiss mir die Bemerkung, dass Onkel Samuel meine Eltern kurz nach meiner Geburt umgebracht hatte und er, wenn es nach mir ginge, deswegen gerne in der Hölle schmoren konnte. Stattdessen bat ich ihn, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Dass Julien wortlos ins Zimmer und direkt zu mir herübergekommen war, um hinter den Ledersessel zu treten, den er zu meinem Platz während dieser Unterhaltung bestimmt hatte, brachte ihm einen irritierten Blick Mr Mollins' ein. Doch schließlich setzte er sich und breitete seine Unterlagen vor sich aus. Mit einem ähnlich spöttischen Lächeln wie damals im Krankenhaus sah Onkel Vlad von Julien zu mir und zurück, während er sich neben dem Anwalt auf dem Sofa niederließ und sich zurücklehnte.
Die
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