Das Herz Des Daemons
von diesem Klub, diesem Ruthvens. -Hör mal, er hat gesagt, du hättest auch nen Fuffziger für mich.«
»Hat er das? Tja, dein Pech, würde ich sagen. Hättest dir die Kohle mal besser von ihm geben lassen. Von mir siehst du keinen Cent. - Verzieh dich!«
»Ey! So haben wir ...« Er verstummte abrupt, als Julien verwirrend schnell und dennoch ohne Hast den Abstand zwischen ihnen auf einen knappen halben Meter reduzierte.
»Was war an >Verzieh dich!< nicht zu verstehen?«, erkun digte er sich gefährlich leise. »Muss ich es dir buchstabieren? - Hau ab! Und zwar gleich! Oder soll ich dich selbst rausbringen?«
Für einen Moment huschten die Augen des Typen zu mir, dann schluckte er hart und brachte hastig wieder ein wenig mehr Distanz zwischen Julien und sich - rückwärts -, bevor er sich nach einem letzten wütenden Blick umdrehte und davonmachte. Julien wartete gerade so lange, bis der Kerl an der Kasse vorbei nach draußen verschwunden war. Dann schob er sich zwischen den anderen hindurch in eine etwas ruhigere Ecke. Ich folgte ihm wortlos. Etwas in meinem Magen hatte sich zu einem harten Klumpen zusammengezogen.
Mit einer entschlossenen Bewegung riss er den Umschlag endgültig auf, griff hinein - und förderte ein paar verpixelte unscharfe Abzüge zutage, wie man sie erhielt, wenn man versuchte, mit dem Handy geschossene Fotos zu vergrößern. Julien starrte mit zusammengebissenen Zähnen darauf, blätterte sie langsam durch. Ich trat ganz dicht neben ihn und warf ebenfalls einen Blick auf die Bilder. Es war wie das Daumenkino einer einzelnen Szene: ein Mann auf einem Hochseil. Er schien sich mit absoluter Selbstverständlichkeit darauf zu bewegen, als sei es das Normalste der Welt, nur ein dünnes Stahlseil unter den Füßen zu haben. Das sich offenbar mehr als nur ein paar Meter über dem Boden befand. Und so schlecht die Bilder in dieser Vergrößerung auch sein mochten, er war erstaunlich gut zu erkennen: Julien. - Oder zumindest jemand, der aussah wie er. Und dieser Jemand konnte nur Adrien sein.
Für einen kurzen Moment sah Julien mich an, dann griff er erneut in den Umschlag. Dieses Mal kam ein Teil einer Zeitungsseite zum Vorschein. In der oberen Ecke prangte das Datum von morgen. Einer der Artikel war mit einem schwarzen Edding markiert. Die Headlines weckten wahrscheinlich nicht nur bei mir Erinnerungen:
Rettung auf dem Hochseil
Unbekannter verhindert Absturz eines
Starartisten
Ich hatte die wenigen Zeilen darunter schnell überflogen.
Offenbar hatte ein Mann auf dem Rummel von Darven Meadow, einer kleinen Stadt südlich von Ashland Falls, den bekannten Hochseilartisten Stephen Kadrelsky vor einem Sturz aus circa fünfundzwanzig Meter Höhe bewahrt, nachdem der aus bisher ungeklärten Gründen abgerutscht war. Kadrelsky hatte sich zwar in letzter Sekunde noch am Seil festhalten können, war dann aber wegen einer Verletzung am Arm nicht mehr in der Lage gewesen, sich aus dieser gefährlichen Lage selbst zu befreien. Da weder Polizei, Feuerwehr noch irgendwelche anderen
Rettungskräfte
rechtzeitig
den
Ort
des
Geschehens hätten erreichen können, schien der Ausgang des Dramas bereits festzustehen. Im allerletzten Moment war ein Mann auf dem Hochseil aufgetaucht, der sich
mit
geradezu
unglaublicher
Eleganz
und
Selbstverständlichkeit darauf bewegte. Er hatte den Hochseilartisten - dabei selbst kopfüber hängend - gesichert und es anschließend Kadrelskys Partner Russell Gowen, zusammen mit einigen der unten Stehenden, ermöglicht, Kadrelsky sicher abzulassen. Über die Identität des Unbekannten rätselten sowohl die Beteiligten als auch die Behörden, stand da, denn der war nach seiner Heldentat anscheinend vollkommen spurlos verschwunden. Daneben war ein Foto, dessen Qualität ungleich besser war als die der Abzüge, auf dem der Unbekannte gerade auf dem Seil neben Stephen Kadrelsky in die Hocke ging.
Hätte man ihn auf den anderen Bildern nicht bereits erkannt, hätte es spätestens jetzt keinen Zweifel mehr gegeben. Der Mann auf dem Seil war Adr«en. Doch seine Züge wirkten, verglichen mir Juliens, seltsam hager.
Ein dunkler Fleck zierte den unteren Rand der Seite. Julien fuhr mir dem Daumen darüber und hinterließ eine rote Schmiere.
Mein Magen zog sich noch weiter zusammen. »Ist das ...« Ich schluckte und beobachtete, wie Julien den Finger zum Mund hob und das, was davon an seiner Haut hängen geblieben war, mit der Zungenspitze berührte. Einen Sekundenbruchteil
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