Das Herz des Ritters
Euch nicht belogen, als ich Euch sagte, dass ich mich nicht mit meinem Bruder getroffen habe. Halim und ich sind keine Geschwister.«
Überraschung spiegelte sich in seinen Zügen. Dennoch brachte ihr Geständnis ihn nicht in Rage, wie sie erwartet hatte. Schnell hatte er sich wieder gefasst und begegnete ihr mit einer kühlen Gleichgültigkeit, ganz so, als wisse er schon seit geraumer Zeit, dass sie eine Lügnerin sei, und habe erst in diesem Moment das ganze Ausmaß ihrer Niedertracht erkannt. »An dem Tag, als er in den Palast kam und Euch geschlagen hat, hat er behauptet, Euer Bruder zu sein. Ihr habt dies bestätigt«, meinte er schroff.
»Wir sind im selben Haus aufgewachsen«, erklärte Zahirah. »Wir sind jedoch nicht blutsverwandt. Uns verbindet kein verwandtschaftliches Band.«
»Und seine Drohung Euch gegenüber, der Angriff, vor dem Abdul Euch schützen wollte? Wie viel Wahrheit liegt darin, Mylady?«
»Seine Drohung ist ernst gemeint. Halim wird mich töten, sobald er Gelegenheit dazu erhält. Und wenn er erfährt, dass ich Euch vor dem Hinterhalt gewarnt habe, wird er sich erst recht an mir rächen wollen.«
»Das alles hättet Ihr mir schon früher anvertrauen können, Zahirah. Habe ich Euch in all der Zeit unserer Bekanntschaft auch nur einen Grund gegeben, mir zu misstrauen?«
»Ihr seid Engländer«, antwortete sie schlicht. »Bisher war das Grund genug.«
»Und nun?«
»Nun«, sagte sie, »ist es … kompliziert geworden.«
»In der Tat, Mylady. Ihr stellt eine Komplikation dar, mit der ich nicht gerechnet habe.« Er fuhr sich mit der Hand durch das feuchte Haar. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, Zahirah, sorgt Ihr für Komplikationen, auf die ich gut und gern verzichten könnte.«
Sie schluckte schwer, als sie die Verdrossenheit in seiner sorgsam beherrschten Stimme vernahm. Ein Sturm widerstreitender Emotionen wallte in ihr auf. Sie wusste, dass ihr eigentlich nichts wichtiger sein sollte als der Erfolg ihrer Mission, doch in Sebastians Nähe war ihr all das gleichgültig. Sie sehnte sich nach ihm und wusste doch, dass er ihr die Lügen nur schwerlich vergeben würde; dass sie unmöglich bleiben konnte, wenn er sie verachtete.
»Wenn Ihr es wünscht, werde ich gehen, Sebastian. Nach all dem, was vorgefallen ist, könnte ich es verstehen, wenn Ihr ohne mich nach Askalon zurückkehren und mich nie wiedersehen wollt.«
»Und was ist mit Halims Drohung, Mylady?«
Sie senkte den Blick, zuckte die Schultern und dachte an den Schwur, den der Assassine geleistet hatte. Er hatte ihr geschworen, sie zu töten, wenn sie versagte, und sie wusste, dass er dieses Versprechen wahrmachen würde. Sie fürchtete Halim, aber viel mehr noch fürchtete sie die Emotionen, die sie in Sebastians Nähe verspürte. Schon jetzt hatte sie durch die Zuneigung zu ihm ihr Ziel aus den Augen verloren. Der Hinterhalt war für den Erfolg ihrer Mission nötig, dennoch hatte sie den Plan sabotiert. Bei Allahs Barmherzigkeit, sie war schwach, und sie wurde mit jedem Schlag ihres verräterischen Herzens schwächer. Zerrissen zwischen dem Pflichtgefühl, das sie ihrem Clan gegenüber verspürte, und der wachsenden Zuneigung für Sebastian, stand sie schweigend vor ihm.
»Kommt her«, sagte Sebastian schließlich, streckte die Hand aus und winkte sie mit milder, wenngleich gebieterischer Geste heran.
Wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, ging sie zu ihm, unfähig, das Prickeln zu unterdrücken, das ihren Körper überlief, als er ihre Hand ergriff und sie an sich zog. Er legte die Hand unter ihr Kinn und hob es an, damit sie ihm in die Augen sah.
»Ich habe Euch meinen Schutz versprochen, Mylady, und ich werde Euch beschützen, solange Ihr meiner Obhut bedürft. Seid versichert, dass ich Euch weder jetzt noch nach Eurer Rückkehr nach Askalon fortschicken werde.«
»Das wollt Ihr für mich tun?«, flüsterte sie fassungslos. »Nach all dem, was ich Euch berichtet habe …«
»Es missfällt mir durchaus, dass Ihr mir Informationen vorenthalten habt, das will ich nicht leugnen. Allerdings ändert nichts von all dem, was Ihr mir heute Abend anvertraut habt, etwas daran, dass ich Euch mein Wort gegeben habe. Und ich stehe zu meinem Wort, Zahirah. Ich gebe ein Versprechen nicht leichtfertig, und noch nie habe ich einen Schwur gebrochen.«
Bei allem, was gut und wahrhaftig in dieser Welt war, sie glaubte ihm. Als sie ihn ansah, diesen schwarzhaarigen, gefährlichen Kämpen, konnte sie es in seinen Augen
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