Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)
in betrunkenem Zustand, Signor. Ich hoffe …«
Inzwischen hatte er zwei Gläser vollgeschenkt und stellte die Kristallkaraffe heftig auf dem Wagen ab. »Mit fortschreitender Zeit fällt mir deine Ähnlichkeit mit Rico mehr und mehr auf. Seine Feststellungen waren oft ebenso ärgerlich.« Er reichte ihr ein Glas und stürzte dann den Inhalt des anderen hinunter.
Sie schnupperte an ihrem Glas und trank. Sie hatte erkannt, dass es sich nur um Wasser mit Zitronensaft handelte. »Stelle deine letzten zwei Fragen, damit ich gehen kann.«
Silvia sah nicht auf, als Bastian auf sie zukam und vor ihr stehen blieb, während seine Fingerspitzen gegen das Glas klopften. Was ging ihm durch den Kopf?, fragte sie sich, ohne den Blick von ihrem Glas abzuwenden. Die Vorstellung einer Geistwandlerin wirkte auf andere faszinierend oder abstoßend. Verabscheute er sie?
Dachte er gerade über all die Unterhaltungen nach, die er mit Rico geführt hatte? Es war so leicht gewesen, mit ihm zu scherzen, als sie in der Verkleidung eines Zwölfjährigen steckte. Doch jetzt wusste er plötzlich, dass all diese neckenden Bemerkungen in Wirklichkeit von ihr gekommen waren. Und dass die Kameradschaft, die er mit Rico geteilt hatte, in Wahrheit eine Nähe gewesen war, die er mit ihr geteilt hatte.
Sie stöhnte innerlich auf, als sie an die erotischen Karten an jenem Morgen in seinem Zelt dachte, und an ihre Diskussion über die anderweltlichen Riten der Reinigung. Und noch Dutzende weiterer kleiner Peinlichkeiten schwirrten ihr durch den Kopf. Sie richtete sich auf und sagte sich, dass das keine Rolle spielte und in dem großen Ganzen nicht ins Gewicht fiel. Schon bald würde sie von ihm bekommen, was sie wollte, und ihre Freiheit dazu.
Wieder stellte er eine Frage, ihrer Zählung nach die neunte. »Wie alt bist du?«
Sie seufzte erleichtert auf und schenkte ihm ein leises Lächeln. »Auf ewig dreiundzwanzig«, sagte sie. Doch selbst für ihre eigenen Ohren hatte ihre Stimme einen eher schmerzlichen Unterton anstelle des scherzhaften, den sie beabsichtigt hatte. Sie rutschte auf dem Sessel nach vorn, schob seine Beine zur Seite und trat an ein großes Erkerfenster. Der Sturm draußen war schlimmer geworden. Manche behaupteten, dass Venedig eines Tages in der Gewalt eines solchen Sturms untergehen würde. Sie drehte sich um und sah ihn an, während er immer noch vor dem Sessel stand. »Die nächste Frage.«
»Etwas verwirrt mich.« Er sah sie über den Rand seines Glases an und stellte es dann ab. »Wenn Michaela in der Nacht, als ich betrunken war, in Monti starb …« Sein Blick wurde schärfer. »Wer hat dann jene Rufnacht mit mir verbracht?«
Ihre Augen wurden groß. Götter, nein! Das darf er nicht erraten!
»Du«, sagte er leise und beantwortete damit seine eigene Frage. »Du hast sie als Wirt angenommen und dann jene Vollmondnacht mit mir verbracht. Mit mir gevögelt. In der Nacht, in der deine liebste Freundin starb.«
Sie wich zurück, als hätte er sie geschlagen; dann ging sie hastig in die Defensive: »Du hältst mich für gefühllos. Aber du weißt gar nichts.«
»Dann erkläre es mir. Und das ist eine Anweisung, keine Frage, damit wir uns verstehen.«
Silvia wollte, dass er verstand; es war ihr ein Bedürfnis, dass er in dieser Angelegenheit nichts Schlechtes von ihr dachte. Also antwortete sie ihm. »Wenn ein potenzieller Wirt stirbt, dann bleibt immer irgendeine persönliche Angelegenheit unerledigt. Ich tue mein Bestes, um jede wie auch immer geartete, letzte Aufgabe zu erledigen. Einen letzten Wunsch zu erfüllen. Rico, zum Beispiel, wollte ein Zuhause für Sal.«
Verstehen dämmerte in seinen Augen. »Und du hast eines für ihn gefunden. Meines.«
Sie nickte. »Und Michaela, sie … sie wollte noch eine Nacht mit dir verbringen.«
»Ich verstehe.« Er hob den Opal vom Tisch auf und drehte ihn in seiner Hand. »Also hast du ihr den Gefallen getan.«
Sie starrte auf den Edelstein in seiner starken Hand und nickte wieder.
»Mit erfreulicher Begeisterung. Und das über Wochen.«
Sie errötete. Mit einem Mal fühlte sie sich nackt und verletzlich vor ihm und wünschte, der Boden möge sich vor ihren Füßen auftun und sie hindurchfallen lassen. »Damit hattest du deine zehn Fragen. Ich glaube, wir sind fertig, Signor. Du schuldest mir einen Opal und meine Freiheit.« Sie ging auf ihn zu und streckte eine Hand aus.
Der Opal verschwand in seiner Tasche. »Ich fürchte, du hast dich verzählt. Diese letzte Frage habe
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