Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Tages, wenn ihre Arbeit getan war. Falls Pontifex sie nicht tötete, bevor sie es geschafft hatte, und falls dadurch, dass sie die Opale sammelte, nicht alles zerstört wurde, was Bastian hier in Italien aufgebaut hatte, und falls diese Welt nicht dadurch zu unsicher für seine Familie und alle Geschöpfe der Anderwelt wurde, so wie er es befürchtete. Viel zu viele Bedingungen.
Scena Antica VII
389 n. Chr.
Rom, Italien
Seit drei Stunden saß Silvia nun schon auf dem mit Federn gefüllten Kissen der Marmorbank – dem Ehrensitz, der ausdrücklich für ihren Gebrauch heute Nacht bestimmt war. Trotz der lärmenden Menge um sie herum war sie isoliert. Anders. Sie galt als zu tugendhaft, um mit jemand anderem als den ältlichen Würdenträgern Umgang zu pflegen.
Nun, da sie einundzwanzig Jahre alt war – und damit die Hälfte ihres dreißigjährigen Dienstes für Vesta hinter sich hatte –, war sie gebeten worden, heute Nacht anlässlich der monatlichen Kalenden zu amtieren. Was als eine Feier mit Tanz, Poesie, Musik und magischen Kunststücken talentierter Darsteller begonnen hatte, entwickelte sich langsam zu einem sybaritischen Spektakel.
Wein sprudelte aus geschmückten Brunnen, so reichlich wie Regen bei einem Sommergewitter. Die Finger der Gäste waren fettig von Oliven und Wildbret. Ehefrauen sahen mit ermatteten Augen zu, wie ihre Gatten sich schöne Tänzerinnen auf den Schoß zogen, um sich dort in langsamen, sinnlichen Bewegungen an ihnen zu reiben. Die Harlekine, die vorher mit ihrer Magie Tauben, Taschentücher und Früchte hinter Ohren hervorgezaubert hatten, ließen diese nun unter den Röcken diverser Damen in der Menge zum Vorschein kommen und lösten damit schallendes Gelächter unter den Zuschauern aus.
Doch all die fröhlichen Scherze waren für Silvia nicht unterhaltsam, denn sie war davon ausgeschlossen. Sie wagte es nicht, in ihrer Wachsamkeit nachzulassen und das Geschehen wie die anderen zu genießen. An derartigen Ausschweifungen teilzunehmen wäre unerhört für eine Vestalin gewesen.
Ein nubischer Sklave blieb stehen und bot ihr eine Platte an, auf der sich eine Auswahl an Melonenstücken in Honig, ein Soufflé, Fisch mit Porree sowie eine Anordnung von Rosinen, Oliven, Nüssen und Datteln befanden. Sie winkte ihn weiter.
Aus den Augenwinkeln sah sie das helle Licht von Fackeln, die hoch in die Luft geworfen wurden. Sie fühlte dunkle Augen auf sich. Diese Augen hatte sie schon die ganze Nacht über immer wieder gefühlt. Sie nippte an ihrem Wein und warf einen verstohlenen Blick auf denjenigen, der sie quälte. Der erste Feuerjongleur. Sein Körper war muskulös, wohlgeformt und nackt bis zur Taille. Er hatte dunkles Haar, ein kantiges Kinn und dunkle Haut. Sie hatte sich danach gesehnt, ihn anzusehen, doch sie gestattete ihrem Blick nur ab und zu, kurz auf ihm zu ruhen.
Während Silvia zusah, warf er fünf Fackeln hoch in die Luft, eine nach der anderen. Als Feuerschlucker war er erstaunlich talentiert; er hatte schon mehr als eine Flamme mit seinem Mund gelöscht, nur um sie mit einem Atemstoß wieder zu entzünden. Dieses Mal wirbelte er die Fackeln hoch und fing jede einzelne unbeirrt wieder auf, unter dem entzückten Seufzen der überwiegend weiblichen Zuschauer. Seine schalkhaften Augen begegneten Silvias Blick, der auf ihm ruhte, und er zwinkerte ihr grinsend zu. Sein Lächeln berührte etwas in ihr. Sehnsucht. Sie rutschte unbehaglich auf ihrem Sitz herum und wandte den Blick ab. Der fiel ungewollt auf ein Mitglied des Anderweltrats, dessen Hand tief unter die Kleidung einer Dame neben ihm gewandert war, die nicht seine Frau war. Irgendwo in der Ferne hörte sie Geräusche eines Liebesaktes, und sie stöhnte innerlich auf. Konnte das hier denn noch abscheulicher werden? Doch zu ihrer großen Erleichterung erschien ein paar Minuten später ihre Sänfte, und sie begab sich auf den Weg zum Haus der Vesta.
Michaela befand sich schon in ihrer gemeinsamen Schlafnische, als Silvia neben ihr in das Bett schlüpfte. »Du riechst nach Wein«, neckte sie sie schläfrig.
Silvia drehte sich zu ihr um. »Den Göttern sei Dank, dass du noch wach bist.«
Im schwachen Mondlicht, das durchs Fenster drang, sah sie Michaela gähnen. »Was ist denn los?«
»Ich bin wütend«, schäumte Silvia und boxte in ihr Kissen, »das ist los. Pontifex und der Rat schicken uns hinaus, um bei jedem unbedeutenden Anlass zu präsidieren, weil sie zu faul sind, es selbst zu tun. Und dann setzen sie
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