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Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)

Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Scholes
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schloss die Augen. Sie hatte diese Geschichte unzählige Male durchlebt, seit sie vor einigen Jahren nachgeforscht hatte, wie Susan gestorben war – aber hier, in diesem Raum, war alles noch viel realer. Der kalte Schweiß brach ihr aus; ihre Beine wurden schwach. Sie trat an das Waschbecken und spritzte sich Wasser ins Gesicht.
    Als sie den Kopf wieder hob, sah sie ihr Gesicht im Spiegel. Wasser tropfte von ihrer Nase und ihren Augenbrauen. Sie holte tief Luft. Susan war seit fünfundzwanzig Jahren tot. Emma war erst sieben Jahre alt gewesen, als es passierte, und hatte nur wenige klare Erinnerungen an ihre Mutter. Und doch klammerte sie sich an ihr Bild, das sie mit Träumen und Spekulationen lebendiger machte. Mit der Zeit hatte sie Trost in dem Wissen gefunden, dass Susan nur vorangegangen war – dass sie wusste, wie es war, zwölf Jahre alt zu werden, die Schule abzuschließen, den ersten Freund zu haben oder den ersten Job. Emma hatte sich in der klugen, starken Gegenwart ihrer Mutter, die in ihren Gedanken weiterlebte, weniger allein gefühlt.
    Aber das würde sich jetzt ändern. Heute war Emmas zweiunddreißigster Geburtstag. Sie war jetzt genauso alt wie Susan, als sie gestorben war. Die Spuren, die sie immer geleitet hatten, endeten hier. Sie hatten den Rand der Landkarte erreicht. Ab jetzt musste Emma allein weitergehen.
    Bei dem Gedanken zog sich ihr Magen zusammen. Sie wusste einfach nicht, ob sie es ohne das Gefühl, dass Susan immer bei ihr war, schaffen würde. Aber zugleich klammerte sie sich an die Hoffnung, dass sie, wenn sie einen Strich unter die Vergangenheit zog, endlich glücklich sein konnte. Sie wusste, dass sie allen Grund hatte, dankbar zu sein. Sie betrachtete ihr Gesicht im Spiegel und hakte im Kopf die Liste ab. Eine erfüllende, erfolgreiche berufliche Karriere mit einem Job in einem der besten medizinischen Forschungsinstitute Australiens; ein Partner, der ihre Leidenschaft für die Wissenschaft teilte und sie bei ihrer Arbeit unterstützte. Ihre brandneue Wohnung mit der schicken, schwedischen Einrichtung. Ein Kleiderschrank voller Designer-Klamotten. Eine Putzfrau, die zweimal in der Woche kam und frische Blumen für den Tisch mitbrachte. Essen in exquisiten Restaurants in Melbourne, auch wenn es keinen besonderen Anlass dafür gab. Es war ein Lebensstil, um den sie jeder beneiden würde. Und doch fühlte Emma sich trotz allem unvollständig – es war, als hätte sie einen lebenswichtigen Teil von sich selbst verloren, als damals ihre Mutter gestorben war.
    Emma blickte sich in die Augen. Bis hierher war sie gekommen, und jetzt wollte sie auch spüren, was sie geleistet hatte – eine Art Anerkennung dafür erhalten, dass sie das Ende eines Zyklus erreicht hatte. Aber sie empfand nur das vage Gefühl, in der Luft zu hängen. So hatte sie sich ihr ganzes Leben über gefühlt, von dem Moment an, als ihr Vater sie in sein Arbeitszimmer gerufen und ihr die schreckliche Nachricht mitgeteilt hatte. Lange Zeit hatte sie nicht wirklich an Susans Tod geglaubt. Sie hatte sich vorgestellt, ihre Mutter würde irgendwo ein geheimes Leben in Afrika führen und eines Tages wieder heimkommen. Schließlich hatte es keinen Beweis dafür gegeben, dass Susan Lindberg tatsächlich tot war. Der Sarg wurde nicht nach Hause geschickt. Eine Leiche, die einen nicht identifizierten tödlichen Virus beherbergte, konnte nicht transportiert werden. Anscheinend hatte man sie direkt in der Station verbrannt – zusammen mit Susans Kleidern, ja sogar der Matratze, auf der sie geschlafen hatte. Alles war zu Asche verbrannt worden.
    Emma wandte sich wieder zum Fenster und stellte sich vor, wie die Asche vom Wind hinausgetragen wurde und sich mit dem grauen Staub vermischte …
    Plötzlich zuckte sie überrascht zurück. Vor ihr im Fenster tauchte das braune, haarige Gesicht eines Kamels auf.
    Emma starrte es bewegungslos an. Das Gitter vor dem Fenster vermittelte den Eindruck, das Tier wäre im Zoo – nur dass das Kamel draußen war und Emma anstarrte. Die Augen des Tieres waren riesig und dunkel, umrahmt von langen, gebogenen Wimpern. Noch während Emma hinschaute, drückte es seine blasse Nase zwischen die Gitterstäbe und stupste an die Scheibe.
    Emma beugte sich vor und verrenkte sich den Hals, um auch den Rest des Kamelkörpers zu sehen. Auf dem Rücken trug es ein hölzernes Gestell mit Decken darüber, die eine Art Sattel bildeten; an beiden Seiten waren prall gefüllte Taschen aus rauhem,

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