Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
Daniels Gesicht noch erkennen. Sie versuchte zu sehen, ob sein Kopf sich im Takt der Musik bewegte, aber die schmutzige Windschutzscheibe trübte ihr die Sicht.
In einem kleinen Raum hinter der Theke im Salaam Café saß Emma vor einem alten Computer. Die Buchstaben auf der Tastatur waren beinahe unleserlich, unter einer dicken Schmutzschicht verborgen, und der Bildschirm war trüb von Staub. Der Jugendliche, der ihre Bezahlung entgegengenommen und sie in den Raum geführt hatte, schaute ihr über die Schulter.
»Er ist langsam«, sagte er. »Aber er kommt. Soll ich Ihnen etwas zu essen bringen?«
»Nur eine Tasse Tee, danke«, erwiderte Emma und spähte durch die offene Tür. Mosi saß an der Bar, trank eine Cola und aß eine Samosa. Er behielt die Polizeistation auf der anderen Straßenseite im Auge, damit er sehen konnte, wann Daniel ankam. Auf dem Parkplatz stand bereits ein großer Lastwagen. Emma fragte sich, ob damit wohl die Kamele abgeholt werden sollten.
Sie gab ihren Benutzernamen und das Passwort ein. Als die Inbox endlich auf dem Monitor angezeigt wurde, überflog sie rasch die lange Liste ungelesener Nachrichten, öffnete jedoch nur die E-Mail, die Simon geschickt hatte. Nervös kaute sie auf ihrem Finger, während sie darauf wartete, dass sich die Nachricht aufbaute. Als sie sie endlich auf dem Bildschirm sah, beugte sie sich vor. Es war eine lange Mail, eine ganze Seite lang. Eine Eröffnung gab es nicht – das war typisch Simon, er fing einfach an zu schreiben. Stirnrunzelnd las sie den Text, und schon nach den ersten Zeilen überflog sie ihn nur noch. Ihr Blick blieb an Begriffen wie »Kernproben«, »wochenlange Überquerung des Eises«, »zum Glück haben wir einen halben Tag lang den Chopper«, »vielversprechende Proben« oder »süße Pinguine« hängen. Er berichtete ausführlich über den Besuch einer russischen Station und beklagte sich, er könne nicht so gut schlafen, wenn es dreiundzwanzig Stunden am Tag dunkel sei.
Als sie am Ende angelangt war, starrte Emma auf den Bildschirm. Simon hatte seine E-Mail mit ein paar Küssen und einem Smiley unterschrieben, aber er hatte weder ihre Reise erwähnt noch die Forschungsstation, ganz zu schweigen von ihrem Geburtstag. Sie schüttelte den Kopf. Na ja, Simon wusste meistens noch nicht einmal, welcher Tag gerade war. Er war wie ein Süchtiger, der sich einen Schuss setzte – ihm steckte die Antarktis im Blut, wie er es immer formulierte. Sie war seine große Liebe. Seit er und Emma zusammen waren, war er nur für ein paar kurze Sommerreisen dort gewesen, und jetzt hatte er die Chance, den gesamten Winter dort zu verbringen. Acht ganze Monate. Emma dachte an den Tag, als er ihr erklärte, dass er sich einen Platz in der Expedition gesichert hatte. Sie hatten nach der Arbeit in einer Weinbar gesessen. Simon war gerade – schick gekleidet – von einem Termin gekommen. Er hatte den obersten Knopf seines Hemdes geöffnet und seine Krawatte gelockert. Der Kontrast zwischen seinem gebräunten Gesicht und der lässig getragenen Geschäftskleidung war sehr attraktiv. Emma hatte gesehen, wie eine Gruppe junger Frauen ihn beobachtete, als er an der Theke etwas zu trinken bestellte.
»Es klappt möglicherweise nicht, dass ich dich nach Tansania begleite«, hatte er gesagt. Sie hatte ihm gleich angesehen, dass etwas nicht stimmte.
»Wie meinst du das?«
»Ich habe die Chance, mich dieses Jahr den ganzen Winter über auf der McMurdo-Station aufzuhalten.«
Emma war zu überrascht, um etwas zu erwidern. Simon schwieg einen Moment lang, dann begann er, ihr die Einzelheiten der Forschungsarbeiten, die er dort leisten wollte, zu erläutern. Es war ein internationales Projekt im Trockental. Jetzt, wo er genügend Zeit zur Verfügung hatte, hoffte er auf wichtige Ergebnisse.
Emma hörte aus seinen Worten heraus, dass der Plan schon seit einiger Zeit bestand und jetzt umgesetzt wurde. Sie senkte den Kopf und blickte auf den Rotwein in ihrem Glas. Es hatte keinen Zweck, zu versuchen, ihn umzustimmen.
»Es wäre sowieso besser für dich, wenn du allein fahren würdest«, meinte Simon. »Schließlich ist es deine Mutter – deine Vergangenheit.«
Emma nickte stumm. Er hatte recht. Sie wusste ja, dass ihn ihre Mutter und der Ort, an dem sie gearbeitet hatte, nicht interessierten. Für ihn ging es bei der Reise nur darum, dass Emma sich endgültig von der Vergangenheit verabschiedete. Vielleicht war es tatsächlich besser, wenn sie allein dorthin
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