Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
längeres Gespräch mit Daniel. Ungeduldig wartete Emma, bis es sich so anhörte, als ob der Austausch von Höflichkeiten vorüber war, dann unterbrach sie die beiden Männer.
»Haben Sie das kleine Mädchen gefunden?«
Der Beamte schüttelte den Kopf. »Leider waren wir nicht erfolgreich.«
Emma starrte ihn an. Sie stützte sich mit den Händen auf dem Arbeitstisch ab. »Sie haben keine Spur von ihr gefunden?«
»Doch. Der Spurenleser ist ihren Spuren über eine weite Strecke gefolgt. Aber er hat sie nicht gesehen.« Wieder schüttelte er den Kopf. »Das sind schlechte Nachrichten. An den Spuren konnte er sehen, dass eine Löwin bei ihr war. Mit Jungen.«
»Das macht Sinn«, warf Daniel ein. »Ich habe auch kleinere Abdrücke gefunden. Aber sie waren zu schwach, als dass ich sie erkennen konnte.«
»Wir wissen es mit Sicherheit«, sagte der Polizist. »Der Spurenleser hat sehr gute Abdrücke gefunden.« Er wandte sich an Emma. »Eine Löwin mit Jungen ist immer gefährlich. Sie muss sie beschützen. Und sie muss nach schwacher Beute suchen, weil sie die Jungen nicht zu lange allein lassen will.«
»Aber es gab kein Anzeichen dafür, dass die Löwin sie angegriffen hat?«
Der Polizeibeamte schwieg einen Moment, bevor er antwortete: »Es tut mir leid, dass ich das sagen muss, aber es ist nur ein kleines Mädchen. Wenn die Löwin sie gefressen hat, ist im Zweifelsfall nicht besonders viel übrig geblieben. Und den Rest haben die Geier und die Hyänen besorgt.«
Seine Worte hingen unheilschwanger in der Luft.
»Aber wir haben trotzdem etwas gefunden.« Der Polizist öffnete eine Schublade an der Seite und zog ein kleines, dunkelrotes Büchlein mit goldener Prägung auf dem Deckel heraus. Emma sah die Worte Europäische Union … Vereinigtes Königreich …
Der Polizeibeamte schlug den Pass auf und zeigte ihr das Foto und den Namen. Emma studierte das Bild. Sie erkannte sofort das Gesicht der toten Frau – aber auf dem Foto waren die blonden Haare kurzgeschnitten, und die Frau war geschminkt. Sie trug eine weiße Bluse und eine Silberkette um den Hals. Sie sah aus wie eine ganz gewöhnliche englische Touristin. Allerdings fiel Emma der kühne Ausdruck in ihren Augen auf. Um ihre Lippen spielte ein Lächeln, das ein Hinweis auf ihren freien Geist sein könnte.
»Ihr Name war Laura Jane Kelly«, sagte der Polizeibeamte. »Sie war britische Staatsbürgerin und ist mit einem Touristenvisum in Tansania eingereist, aber das ist schon fast zehn Jahre her. Eine Arbeitserlaubnis hatte sie nicht. Anscheinend hat sie hier außerhalb des Gesetzes gelebt.«
Er runzelte missbilligend die Stirn. Der letzte Satz ging Emma nicht mehr aus dem Kopf. Sie stellte sich das Leben einer Gesetzlosen vor – ein freies, gefährliches Leben, das Mut erforderte. Sie selbst war nicht annähernd mutig genug, um so etwas auszuprobieren.
»Wir haben das britische Hochkommissariat verständigt«, fügte der Beamte hinzu, »und sie haben die nächsten Angehörigen ausfindig gemacht.«
Emmas Gedanken wandten sich Angel zu. Wenn sie gefunden wurde – und ihrer Meinung nach gab es immer noch Hoffnung –, würden die nächsten Angehörigen wahrscheinlich für sie sorgen. »Wer ist es?«, fragte sie. »Sind sie hier in Afrika?«
»Diese Information darf ich Ihnen leider nicht geben«, erwiderte der Beamte. »Aber ich kann Ihnen sagen, dass wir wissen, wie Laura Kelly gestorben ist.«
Emma zog die Augenbrauen hoch. Es konnte doch unmöglich schon eine Autopsie durchgeführt worden sein.
»Wir haben die Leiche untersucht. Offensichtlich ist sie an einem Schlangenbiss gestorben.«
»Ein Schlangenbiss!«, wiederholte Emma. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Es schien zu bizarr, zu primitiv zu sein, dass eine Engländerin so sterben musste. Aber sie waren hier in Afrika. Es war ein wunderschöner Kontinent, aber auch ein Ort, an dem man plötzlich sterben konnte, sei es an einem Virus wie dem Olambo-Fieber, in den Fängen eines Raubtieres oder durch das Gift einer tödlichen Schlange.
»Es gibt also keine verdächtigen Umstände«, fügte der Beamte hinzu.
In diesem Moment ging die Tür auf, und ein Mann trat ein. Er war ebenso groß wie der Polizeibeamte, aber schlank wie Daniel. Er trug ein grünes Käppi, ein dunkelgrünes Hemd und dazu passende Hosen. Sein Blick glitt über Daniel und Emma, aber er nahm sie kaum zur Kenntnis. Er hatte hohe Wangenknochen mit dunkelroten Narben darunter. Sie waren tief eingekerbt und
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