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Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)

Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Scholes
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mit gekreuzten Beinen im Eingang zur Felsenhöhle und blickte an den Felsbrocken vorbei auf die mondbeschienene Landschaft. Sie sah ein kleines Stück vom grauschwarzen Himmel, an dem ein paar Sterne blinkten, und einen größeren Flecken silbriger Erde. In der Nähe warfen Gräser fedrige Schatten auf den Boden; und ein Stück weiter weg bildeten Palmwedel ein Fächermuster. Hinter sich, tief in der Höhle, hörte sie das langsame Atmen der Löwin und das leise Schnaufen der Jungen. Alle schliefen. Die Löwin war heute Nacht nicht auf der Jagd, weil sie am Tag bereits Beute gemacht hatte. Kurz vor Sonnenuntergang hatten sie eine Gazelle überrascht, die am Fluss stand und trank. Als die Löwin sich anschlich, waren Angel und die Jungen wohlweislich zurückgeblieben. Die Gazelle hatte kaum Zeit, den Kopf zu heben, als die Löwin sie auch schon ansprang. Angel und die Jungen beobachteten, wie sie das Fell aufriss, wobei sie an den weichen Innenseiten der Hinterläufe anfing. Sie zog die Innereien heraus und kaute am Darm. Dann hielt sie inne und vergrub die nicht essbaren Teile der Innereien im Sand. Angel vermutete, dass die Löwin – genau wie Leute, die in einem Dorf oder auch einem Camp wohnten – vermeiden wollte, dass sich Aasfresser über die Beute hermachten. Als die Löwin schließlich begann, das Fleisch zu fressen, gesellten sich Angel und die Jungen zu ihr. Die Jungen wussten noch gar nicht richtig, wie sie mit dem Fleisch umgehen sollten. Sie folgten dem Beispiel ihrer Mutter und leckten mit ihren rauhen Zungen daran.
    Angel nahm das Taschenmesser aus dem Beutel an ihrem Gürtel. Sie klappte die Klinge auf und schnitt sich ein Stück dunkelrotes Fleisch aus der Flanke der Gazelle, wobei sie sorgfältig darauf achtete, nicht an das Fell zu kommen. Sie säuberte es von allen Haaren, hob das Filet an die Lippen und wollte gerade abbeißen, als sie Lauras Stimme in ihrem Kopf hörte.
    »Iss kein rohes Fleisch im Dorf. Du bekommst Bandwürmer. Und du hasst die Tabletten dagegen doch, oder?«
    Als sie jetzt im Eingang zur Höhle saß, schüttelte sie die Erinnerung ärgerlich ab. Was nützte ihr der Ratschlag von Laura, wenn sie nicht mehr hier war? Schließlich hatte sie ihre Tochter völlig allein zurückgelassen.
    Angel lehnte den Kopf an den kühlen Stein und wackelte mit der Zunge an ihrem lockeren Vorderzahn. Er würde bald herausfallen. Sie dachte an Lauras Warnung, dass sie ihn nicht verschlucken sollte. Dann fiel ihr die Geschichte mit der Zahnfee wieder ein. Erneut stieg Wut in ihr auf. Angel packte den Zahn und riss ihn heraus. Der Schmerz, gefolgt von einem kleinen Schwall salzigen Bluts, kam ihr gerade recht. Sie warf den Zahn in die Ecke der Höhle.
    Ihre Augen brannten. Sie schloss sie und presste die Fingerkuppen auf die Augenlider. Am liebsten hätte sie sich wie die anderen zusammengerollt und geschlafen. Aber ihre Gedanken hielten sie wach. Sie hatte Angst, nicht mithalten zu können, wenn sie morgen früh aufbrachen. Sie hätte gern gewusst, warum die Löwin sie alle ständig in Bewegung hielt und unermüdlich weiterzog, als ob sie vor etwas davonliefen. Vielleicht wusste die Löwin ja, dass die Wilddiebe ihr auf der Spur waren, aber Angel hatte keine Anzeichen für Menschen gesehen, weder Feuerstellen noch Spuren. Sie hatte auch keine ungewöhnlichen Geräusche gehört. Die Sohlen ihrer Füße waren wund, und ein Schnitt am Zeh heilte nicht gut, auch wenn die Löwin ihn ständig sauber leckte. Die Hitze nahm ihr jede Energie, und ganz gleich, wie viel Wasser sie trank, sie war immer durstig. Auch die Jungen waren erschöpft. Jeden Nachmittag strich Mdogo so lange jammernd um ihre Knöchel, bis sie ihn auf den Arm nahm und eine Weile trug. Und während sie über den Sand trottete, ging ihr vor allem eines nicht aus dem Kopf. Jeder Schritt führte sie weiter weg von Mama Kitu und Matata. Sie stellte sich vor, wie sie umherirrten, oder – schlimmer noch – von Fremden gefunden wurden. Nicht jeder war nett zu Kamelen. Auf den Märkten hatte sie Kamele gesehen, die so viel geschlagen worden waren, dass sie voller Narben waren, Tiere, die unter ihrer viel zu schweren Last taumelten. Sie hatte Kamele gesehen, die so unterernährt waren, dass sich ihre Rippen durch das Fell abzeichneten. Wenn sie daran dachte, dass ihre Kamele vielleicht ein solches Schicksal erwartete, dann wäre sie am liebsten der Löwin weggelaufen, um wieder zum Berg Gottes zu gelangen. Aber ihr war klar, dass sie in

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