Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
hereinbricht.
Sie sah jedoch nur, wie eine leichte Brise die Wüstenrosen bewegte. Aber es ging kein Wind, die Luft war ganz still. Vielleicht war ja auch ein Insekt oder eine Eidechse, eine kleine Schlange durch den Busch gehuscht. Oder ein Hosenbein hatte ihn gestreift.
Und dann war es vorbei, und die blattlosen Blumen bewegten sich nicht mehr.
Angel spürte, wie sich die Löwin entspannte. Das Tier schüttelte den Kopf und stieß grunzend die Luft aus.
Angel starrte weiter auf die Stelle, die Hände zu Fäusten geballt.
»Geh nicht«, flüsterte sie.
Die Löwin gab einen leise murmelnden Laut von sich, der gleiche, mit dem sie Mdogo immer beruhigte, wenn er Angst hatte. Sie blickte Angel in die Augen.
Angel nickte langsam. Die Löwin hatte Laura gesehen. Laura hatte die Löwin gesehen. Etwas Bedeutendes war passiert. Das Wissen vermittelte Angel das Gefühl, dass sie sich keine Sorgen mehr zu machen brauchte. Die Kamele waren in Sicherheit. Sie würde wieder mit ihnen zusammenkommen. Sie würde die Kraft finden, das zu tun, was sie tun musste.
Die Löwin drehte sich um und streifte mit ihren Schnurrhaaren an Angels Arm entlang. Dann ging sie voraus in die Sicherheit der Höhle.
10
E mma trat in den Hof, bereit zum Aufbruch, aber sie rieb sich gähnend die Augen. Es war noch fast dunkel, und die Luft war unheimlich still. Die Insekten hatten ihr nächtliches Zirpen eingestellt, und die Nachttiere, die über das Dach gehuscht und in den Büschen geraschelt hatten, waren jetzt weg, aber die Geräusche des Morgens hatten noch nicht begonnen.
»Mama Kitu. Matata.« Leise rief sie die Kamele, die in ihrem Gehege waren. In der Dunkelheit waren sie nur undeutlich zu erkennen – beide hatten sich niedergelegt, die Beine unter dem Körper gefaltet, die Köpfe hochgereckt wie Wachen. Mama Kitu antwortete mit einem Blöken. Emma ließ sie nicht gerne allein, aber Daniel hatte einen Bauern aus dem Dorf verpflichtet, sie zu füttern und Mama Kitus Fuß jeden Tag zu baden, bis er und Emma zurückkehrten.
Emma eilte zum Tor. Ihre grüne Tasche, in die sie Kleidung zum Wechseln gepackt hatte, hatte sie über die Schulter gehängt. In der Hand trug sie einen Korb. Daniel hatte ihn ihr gegeben, damit sie Proviant für die Fahrt einpacken konnte. Kurz bevor sie losfuhren, hatte sie auch Sachen von Angel daraufgelegt: den roten Wollknäuel mit den Nadeln, das Malbuch, ein paar Kleidungsstücke und Sandalen.
Daniel wartete schon am Landrover. Am Boden stand ein Kanister, und es roch nach Benzin. Er schaute in den Korb, und sein Blick blieb an Angels Habseligkeiten hängen. Unwillkürlich fragte sich Emma, ob er es wohl für einen Fehler hielt, dass sie sie eingepackt hatte. Sie war selbst unsicher gewesen und hatte zögernd vor den Satteltaschen im Flur gestanden – eine abergläubische Person hätte gesagt, sie wolle das Schicksal herausfordern. Aber Daniel sagte nichts, also öffnete sie die hintere Tür und stellte den Korb auf den Sitz zwischen zwei Schlafsäcke und aufgerollten Moskitonetzen.
Sie setzte sich auf den Beifahrersitz. Er fühlte sich mittlerweile vertraut an – die gebrochene Feder, die sie leicht nach links drückte, der Riss in der Vinyl-Polsterung, den sie durch die Jeans spürte. Und der Geruch nach Motoröl, Staub und Sackleinen.
Daniel hatte die Scheinwerfer eingeschaltet, aber der Strahl war blass und schwach in der beginnenden Dämmerung. Zuerst fuhren sie den Weg entlang, der zur Straße nach Malangu führte, aber nach kurzer Zeit bog Daniel ab und fuhr in die entgegengesetzte Richtung. Der Weg führte hinter der Station vorbei.
»Fahren wir nicht auf den Berg zu?«, fragte Emma.
»Nein. Malangu, die Station und das Löwencamp befinden sich fast in einer Linie, aber sie verläuft in einem Bogen.« Daniel zeichnete einen Bogen in die Luft, um seine Worte zu illustrieren. »In dem Kreis liegt die Wüste – und Ol Doinyo Lengai. Aber die Straße zum Löwencamp verläuft nicht gerade, sie führt um diesen Hügel herum.« Er zeigte auf eine Erhebung in der Ferne. »Deshalb brauchen wir so lange.«
»Kennen Sie denn den Weg genau?« Emma konnte sich nicht daran gewöhnen, dass Daniel immer ohne Karte fuhr.
»Ich bin die Strecke schon mit Ndugu gefahren. Wir haben in diesem Gebiet Nager-Fallen aufgestellt. Aber wir waren nicht im Camp.«
»Sind Sie neugierig auf diesen Löwenmann?«
»Die Sache ist nicht unproblematisch«, sagte Daniel vorsichtig. »Dieser Wildhüter, Magoma, ist nicht
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