Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
der Einzige, der ihn nicht mag. Viele Leute haben etwas gegen ihn.«
Emma zog die Augenbrauen hoch. »Was hat er denn gemacht?«
»Gar nichts. Aber sie haben Angst vor ihm. Sie glauben, ein Mann, der mit Löwen zusammenlebt, ist nicht wirklich ein Mensch. Oder er hat auf jeden Fall besondere Kräfte, die ihm die Löwen verliehen haben.«
»Was für Kräfte denn?«
»Die Leute sagen zum Beispiel, wer für den Löwenmann arbeitet, wird niemals krank.«
»Glauben Sie das?« Emma dachte daran, dass er die Leiche der Frau nicht berühren wollte.
Daniel überlegte. »Als gebildeter Mann«, sagte er schließlich, »glaube ich nicht, dass er seine Arbeiter auf diese Art beschützen kann. Aber als Massai bin ich mir nicht so sicher. Ich habe gesehen, wie gesunde Personen an einem Fluch gestorben sind. Und ich habe gesehen, wie Kranke wieder gesund geworden sind, weil der Laibon sie gesegnet hat. Ich bin also zwiespältig.« Er wies an Emma vorbei durch das Seitenfenster auf den Berg. »Als der Ol Doinyo Lengai ausgebrochen ist, habe ich die Rauchsäule mit den Blitzen emporschießen sehen. Ich habe das Brüllen gehört, das aus dem Berg gekommen ist, und ich spürte, wie die Erde unter meinen Füßen bebte. Die wissenschaftlichen Ursachen dafür habe ich alle verstanden. Aber zugleich glaubte ich meinen Verwandten, als sie sagten, sie würden die Macht des Engai spüren.«
Emma blickte zum Berg. Im Dämmerlicht sah sie nur leichten, weißen Rauch, der gespenstisch am Horizont hing. Ein Schauer überlief sie.
»Dann haben Sie also Angst vor dem Löwenmann?«
Daniel schüttelte den Kopf. »Es hat nichts mit unseren Gefühlen zu tun, dass Ndugu und ich das Löwencamp nicht besucht haben – es liegt an unserer Arbeit. Die Leute können nur schwer verstehen, was ein Virus ist. Sie können ihn nicht sehen, können ihn nicht berühren. Und wenn viele starke, gesunde Leute schnell sterben – und auf so schreckliche Art –, dann glauben sie, es stecke etwas Böses dahinter.«
Emma nickte. Selbst Wissenschaftler wie sie, die alles über Level-4-Viren wussten – und Blutproben, die mit Lassa, Ebola und Olambo infiziert waren, durchs Mikroskop gesehen hatten –, taten sich mit einer rationalen Perspektive schwer. Wenn man sich die verheerenden Schäden vorstellte, die sie anrichten konnten, dann sahen die fein gezeichneten kleinen Organismen zutiefst furchterregend aus. Da nützte es auch nichts, dass man die Proben immer im Dunkeln betrachtete, fluoreszierend eingefärbt, so dass ihre Formen in einem Meer der Dunkelheit leuchteten.
»Es hat Jahre gedauert«, fuhr Daniel fort, »bis wir die Vorstellungen der Leute so weit geändert hatten, dass sie zumindest verstanden, wie sich der Virus ausbreitet. Wenn wir uns mit dem Löwenmann angefreundet hätten, hätten sie uns nicht vertraut.«
»Und jetzt fahren Sie doch ins Lager«, sagte Emma. »Können Sie es denn geheim halten?«
»Bald wird es jeder wissen. Aber wir können den Grund erklären. Ein Kind wird vermisst. Ich hoffe nur, dass es unserer Arbeit keinen Schaden zufügt.«
Emma blickte nach vorn. Am Horizont ragten niedrige Hügel auf. Hinter einem von ihnen befand sich die Sonne – ein strahlender Glanz, der nur noch kurze Zeit zurückgehalten wurde. Darüber wurde der graue Himmel schimmernd grün.
»Sie leben für Ihre Arbeit.« Emma blickte Daniel nicht an. »Sie scheinen nicht viel Zeit für etwas anderes zu haben.«
»Ich brauche keine Zeit für etwas anderes.«
Das klang so freudlos, dass sie einen Moment zögerte, aber dann fuhr sie fort: »Haben Sie keine Frau, keine Familie?« Sie blickte ihn von der Seite an und sah, wie seine Hände das Lenkrad fester packten.
»Ich hatte eine Frau, Lela, aber sie ist vor dreieinhalb Jahren gestorben.«
Emma wollte gerade fragen, was passiert sei, stellte jedoch den Zusammenhang selbst her. »O nein! Während der letzten Epidemie!«
Daniel blickte starr geradeaus. »Sie war im sechsten Monat, als sie krank wurde. Ich wusste, dass sie und das Baby sterben würden.« Er sprach langsam, aber seine Stimme klang fest. »Aber ich wusste auch, dass die Chance, sie zu retten, größer war, wenn die Wehen eingeleitet wurden. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte, aber letztendlich traf ich die Entscheidung, diesen Weg zu gehen. Ich tat es, obwohl ich wusste, dass in Afrika ein Baby, das in der achtundzwanzigsten Woche geboren wird, nicht überleben kann.« Er holte tief Luft. Als er weitersprach, klang seine
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