Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
kennengelernt hatte, war ihr klargeworden, dass es auf seiner Seite mehr als nur berufliches Engagement war. Simon mochte Kinder nicht. Als Kind hatte er immer das Gefühl gehabt, seinen Eltern lästig zu sein, und er glaubte, wenn er ein Kind hätte, würde er es ebenso empfinden. Emma wusste, dass er sich nie ändern würde, und deshalb hatte sie sich gesagt, dass ihr die Entscheidung auch ganz gelegen kam. Aber als sie jetzt glättend über eines der kleinen Hosenbeine strich, spürte sie schmerzlich, dass ihr etwas Entscheidendes im Leben fehlte.
Vom anderen Ende des Geländes drang lautes Lachen herüber. Daniel und Angel spielten Verstecken mit den Löwen. Emma strich noch ein letztes Mal über den Hosenstoff, dann ging sie hinüber, um ihnen zuzuschauen. Nicht weit entfernt sah sie hinter einem Busch Daniels Umrisse. Moyo schlich auf ihn zu, den Körper fast an den Boden gepresst, die Augen zu Schlitzen verengt. Gleich würde sie ihn anspringen, das wusste Emma. Dann würden die beiden spielerisch miteinander kämpfen, bis Daniel schließlich entkam und zu Angel lief, die sich vor Lachen krümmte. Zuerst hatte Emma kaum zuschauen können, aber das Spiel hatte fast eine Stunde gedauert, ohne dass Moyo jemals ihre Krallen ausgefahren oder die Zähne gefletscht hätte. Im Gegenteil, sie bewegte sich besonders vorsichtig.
Daniel war nackt bis zur Taille wie damals, als er Mama Kitu operiert hatte. Die Sonne brachte seine Haut zum Glänzen und betonte die Konturen seines Körpers. Neben ihm sah Angel mit ihren zarten Gliedmaßen und ihrer hellen Haut fast ätherisch aus.
Plötzlich sprang Moyo auf Daniel zu und stieß ihn in den Staub. Angel lachte, als sie miteinander rangelten. Emma trat näher und musterte das Gesicht des Kindes. Niemand würde vermuten, dass sie erst vor ein paar Tagen mit eigenen Händen ihre Mutter beerdigt hatte. Sie sah aus wie jedes unbeschwerte, glückliche kleine Mädchen. Ein schmerzlicher Schauer überlief Emma. Sie wusste, wie sich dieses Verlangen, zu lachen, anfühlte, dieses Bedürfnis, etwas zu tun, um das kalte Schweigen im Inneren auszugleichen. Und wenn man dann nachgab und tatsächlich lachte, schauten einen die Leute an, und man sah ihnen an, welche Fragen sie stellten. Wie kannst du lächeln, lachen, Spaß haben, wo doch deine Mutter gerade gestorben ist?
Sie hatte sich innerlich geteilt. Der eine Teil aß und redete, zog sich an und lachte. Der andere wartete stumm in der Kälte und der Dunkelheit. Dieser Teil wollte am liebsten tot sein, so dass sie sich nicht mehr zu erinnern brauchte und das Bewusstsein der Realität sie nicht mehr niederdrücken konnte. Susan würde nie mehr zurückkommen. Die Person, zu der sie Mom gesagt hatte, gab es nicht mehr. Emma hatte keine Mutter. Am schlimmsten war es kurz nach dem Aufwachen. Jeder Morgen war eine Tortur.
Und dann war da ihr Vater. Er brauchte Emmas Lächeln wie die Luft zum Atmen. Von dem Moment an, in dem die beiden Männer vom CDC zu ihm gekommen waren – sie hatten leise in seinem Arbeitszimmer mit ihm geredet, und dann waren sie herausgekommen und hatten auch seiner Tochter die Nachricht mitgeteilt –, war es klar gewesen, dass für ihn das Wichtigste war, dass es Emma gutging. Wenn sie weinte, brach er zusammen. Und bei ihr verwandelte sich die Trauer dann in Angst. Er war immer ein starker, ruhiger Mann gewesen, und wenn er schluchzend vor ihr auf dem Boden kniete, erkannte sie ihn kaum noch. Sie hatte das Gefühl, auch ihren Vater verloren zu haben.
Das gezwungene Lächeln, das gespielte fröhliche Lachen hatten ihren Zweck erfüllt. Ihr Vater war wieder zur Arbeit gegangen. Sie war wieder zur Schule gegangen. Die Leute hatten begonnen, sie wieder normal zu behandeln. Und mit der Zeit hatten sie sich in ihrem neuen Leben eingerichtet.
Emma drückte die Finger auf die Lippen und starrte auf die Szene vor ihr. Sie hatte nie wirklich um Susan geweint – nicht frei und offen. Wenn sie später unter irgendeinem anderen Vorwand ihren Tränen freien Lauf ließ, hatte der Druck ein wenig nachgelassen. Aber trotzdem spürte sie im Inneren das Gewicht all der ungeweinten Tränen.
»Sie haben Spaß.« George war unbemerkt neben sie getreten. Emma rang sich ein Lächeln ab. »Man sollte meinen, dass sie allmählich müde werden.«
George erwiderte ihr Lächeln. Eine Zeitlang beobachtete er die Szene, dann wies er mit seiner Pfeife auf Daniel. »Er ist ein gutaussehender Mann. Stark und intelligent. Und verspielt.
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