Das Herz Eines Highlanders
blickte finster zu den anderen hinüber, um mit wütendem Blick wortlos Unterstützung einzufordern.
Nur Zeke blieb von dieser Drohgebärde unbeeindruckt. »Jillian hat interessante Dinge zu sagen«, sagte er. »Du kommst jeden Nachmittag hierher, um ihr zuzuhören, und auch sie ist ein Mädchen.«
»Das ist was anderes. Sie ist kein Mädchen. Sie ist... na ja, sie ist fast wie eine Mutter zu uns, nur viel hübscher.«
Mit einem stillen Seufzer wischte Jillian sich eine blonde
Haarsträhne aus dem Gesicht. Was hatte dieses »hübscher« ihr je eingebracht? Sie sehnte sich nach eigenen Kindern, doch für Kinder brauchte sie einen Ehemann, und ein solcher schien für sie nicht in Sicht zu sein, hübsch oder nicht. Nun, du könntest aufhören, so wählerisch zu sein, riet ihr Gewissen trocken.
»Soll ich euch eine Geschichte erzählen?« Geschwind wechselte sie das Thema.
»Ja, erzähl uns eine Geschichte, Jillian!«
»Eine romantische!«, rief ein älteres Mädchen.
»Eine blutige«, verlangte Jemmie.
Mallory rümpfte die Nase. »Ich will eine Fabel. Ich liebe Fabeln. Sie lehren uns, was gut und was böse ist. Und einige von uns«, sie sah zu Jemmie, »müssen das ja noch lernen.«
»Fabein sind doof...«
»Sind sie nicht!«
»Eine Fabel! Eine Fabel!«, schrien die Kinder.
»Ihr sollt eine Fabel bekommen. Ich werde euch von dem Streit zwischen dem Wind und der Sonne erzählen«, sagte Jillian. »Es ist meine Lieblingsfabel.« Als sie sich hinsetzte, um die Geschichte zu erzählen, drängelten die Kinder um die besten Plätze. Zeke, der kleinste von ihnen, wurde ganz nach hinten geschubst.
»Nicht blinzeln, Zeke«, ermahnte ihn Jillian liebevoll. »Hier, komm näher.« Sie zog den Jungen auf ihren Schoß und strich ihm das Haar aus den Augen. Zeke war der Sohn ihrer Lieblingsmagd, Kaley Twillow. Er war mit so schlechten Augen geboren worden, dass er kaum weiter sehen konnte, als seine Hand reichte. Er blinzelte unentwegt, als könnte dadurch eines Tages ein Wunder geschehen, das die Welt für ihn sichtbar machte. Jillian fand es unvorstellbar traurig, die prächtige Landschaft Schottlands nicht sehen zu können, und ihr Herz beweinte Zekes Behinderung, die ihn daran hinderte, die Spiele zu spielen, die die anderen Kinder so liebten. Es war sehr viel wahrscheinlicher, dass er von dem Ball getroffen wurde als umgekehrt, und um das auszugleichen, hatte Jillian ihm das Lesen beigebracht. Zwar musste er seine Nase tief in das Buch stecken, aber er konnte darin Welten erforschen, die er niemals mit eigenen Augen würde sehen können.
Nachdem er sich in ihren Schoß gekuschelt hatte, fing sie an. »Eines Tages stritten sich die Sonne und der Wind darüber, wer wohl der Stärkere sei, als sie einen Kesselflicker die Straße entlangkommen sahen. Die Sonne sagte: >Lass uns jetzt unseren Streit entscheiden. Derjenige von uns, der dem Kesselflicker seinen Mantel auszieht, soll als der Stärkere gelten.<
Der Wind stimmte dem Wettstreit zu. >Du fängst an<, sagte die Sonne und verschwand hinter einer Wolke, um sich nicht einzumischen. Der Wind fing an, so stark er nur konnte auf den Kesselflicker zu pusten, doch je mehr er blies, umso fester zog der Kesselflicker seinen Mantel um den Körper. Das spornte den Wind nur noch mehr an, alles zu geben, was er hatte; doch der Kesselflicker kämpfte dagegen an, seinen Mantel zu verlieren. Schließlich gab der Wind verzweifelt auf.
Dann kam die Sonne hervor und erstrahlte in ihrer ganzen Herrlichkeit über dem Kesselflicker, der es bald zu warm fand, um im Mantel weiterzulaufen. Er zog ihn aus, warf sich das gute Stück über die Schulter und ging fröhlich pfeifend seines Weges.«
»Juchhuu!«, freuten sich die Mädchen. » Die Sonne hat gewonnen! Wir mögen die Sonne auch lieber!«
»Das ist eine doofe Mädchengeschichte«, maulte Jemmie.
»Mir hat sie gefallen«, entgegnete Zeke.
»Na klar, Zeke. Du bist viel zu blind, um Krieger und Drachen und Schwerter zu sehen. Ich mag Geschichten mit Abenteuern.«
»Diese Geschichte hat einen tieferen Sinn. Genau denselben wie das, was ich dir über das Haareziehen bei Mallory gesagt habe«, sagte Jillian sanft.
Jemmie blickte verwirrt drein. »Wirklich? Was hat die Sonne mit Mals Haaren zu tun?«
Zeke schüttelte den Kopf über Jemmies Begriffsstutzigkeit. »Sie hat uns erzählt, dass der Wind versucht hat, dem Kesselflicker zu schaden, also musste der Kesselflicker sich verteidigen. Die Sonne machte, dass der Kesselflicker
Weitere Kostenlose Bücher