Das Herz Eines Highlanders
verschlangen ihn hungrig. Sie fragte sich, ob ihr frisch erlangtes Wissen über ihr gemeinsames Kind, das in ihr heranwuchs, in ihren Augen glitzerte. Sie musste ihn unbedingt bald allein erwischen!
Er hatte ihren Stuhl halb herausgezogen und hielt inne. »Morgen«, flüsterte er heiser, von ihrer Ausstrahlung völlig verwirrt. »Ach, Jillian, du hast überhaupt keine anderen Kleider, oder?« Er betrachtete sie, wie sie in sein Plaid gekleidet vor ihm stand, und lächelte zärtlich. »Ich erinnere mich, dass du dich schon als kleines Mädchen so angezogen hast. Du wolltest unbedingt genauso sein wie dein Papa.« Sie setzte sich und seine Hände verweilten auf ihren Schultern. »Balder, kannst du die Mädchen anweisen, etwas ausfindig zu machen, was Jillian tragen könnte?«
Es war Ronin, der antwortete. »Ich bin sicher, dass einige von Jolyns Kleidern geändert werden könnten. Ich habe sie weggeschlossen ...« Seine Augen bewölkten sich vor Trauer.
Jillian war erstaunt, als Grimms Kiefer sich verspannte. Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen und ballte seine Hand so fest um seinen Becher, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Obwohl Grimm ihr einiges über seine Familie erzählt hatte, hatte er nicht erwähnt, wie Jolyn gestorben war. Noch hatte er ihr erzählt, was Ronin getan hatte, um eine solche Kluft zwischen beiden entstehen zu lassen. Nach dem zu urteilen, was sie von seinem Vater gesehen hatte, war er nicht im Entferntesten seltsam oder verrückt. Er schien ein sanfter Mann zu sein, voller Reue, der sich nach einer besseren Zukunft mit seinem Sohn sehnte. Sie bemerkte, dass Balder Grimm ebenso aufmerksam beobachtete wie sie selbst.
»Hast du je von der Fabel vom Wolf im Schafspelz gehört, Junge?«, fragte Balder und sah Grimm mit Missfallen an.
»Ja«, knurrte er. »Ich habe diese Lehre in jungen Jahren sehr wohl kennen gelernt.« Erneut schickte er einen wütenden Blick in Ronins Richtung.
»Dann solltest du auch begreifen, dass es sich manchmal genau umgekehrt verhält - dass es auch so etwas gibt wie ein Schaf im Wölfsfell. Manchmal kann der Schein trügen. Manchmal muss man die Tatsachen mit erwachsenen Augen neu prüfen.«
Jillian betrachtete die beiden neugierig. Dort wurde eine Nachricht übermittelt, die sie nicht verstand.
»Jillian liebt Fabeln«, murmelte Grimm und lenkte das Thema in eine andere Richtung.
»Na los, erzähl uns eine, Mädchen«, forderte Ronin sie auf.
Jillian wurde rot. »Nein, wirklich, das könnte ich nicht. Die Kinder sind es, die die Fabeln so sehr lieben.«
»Pah, Kinder sagt sie, Balder!«, rief Ronin aus. »Meine Jolyn liebte Fabeln und hat uns oft welche erzählt. Komm schon, Mädchen, erzähl uns eine Geschichte.«
»Nun ...«, wand sie sich.
»Erzähl uns eine. Fang an«, drängten die Brüder sie.
Neben ihr nahm Grimm einen tiefen Schluck aus dem Becher und knallte ihn auf den Tisch.
Jillian zuckte zusammen, enthielt sich aber einer Bemerkung. Seit ihrer Ankunft war er die ganze Zeit über gereizt gewesen und sie konnte nicht ergründen, wieso. Auf der Suche nach einem Weg, die greifbare Spannung zu lösen, durchstöberte sie ihren Vorrat an Fabeln und entschied sich, getrieben von einem schelmischen Impuls, für ein Märchen.
»Es war einmal ein mächtiger Löwe, heldenhaft und unbesiegbar. Er war der König der Tiere und das wusste er wohl. Ein wenig arrogant, könnte man meinen, aber ebenso war er ein guter König.« Sie machte eine Pause, um Grimm liebevoll anzulächeln.
Er blickte finster drein.
»Dieser mächtige Löwe ging eines Abends in den Wäldern des Tieflands umher, als er ein liebliches Weib entdeckte ...«
»Mit Locken goldenen Haares und bernsteinfarbenen Augen«, warf Balder ein.
»Aber ja! Wie konntest du das nur wissen? Du hast die Geschichte schon einmal gehört, nicht wahr, Balder?«
Grimm verdrehte die Augen.
Jillian verkniff sich ein Lachen und fuhr fort. »Der mächtige Löwe wurde von ihrer Schönheit, ihren anmutigen Bewegungen und dem bezaubernden Lied, das sie sang, in den Bann gezogen. Er tappte leise vor, um sie nicht aufzuschrecken. Aber die Jungfrau hatte keine Angst - sie sah den Löwen als das, was er war: ein kraftvolles, mutiges und ehrenhaftes Wesen mit einem oft Furcht einflößenden Gebrüll und einem reinen, furchtlosen Herzen. Über seine Überheblichkeit konnte sie hinwegsehen, denn sie hatte ihren eigenen Vater beobachtet und wusste, dass Überheblichkeit oft wesentlicher Bestandteil
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