Das Herz ihrer Tochter
oder
so würde der Richter ihn für verrückt halten - und das durfte nicht passieren.
»Also, nachdem Sie den Zeugenstand
betreten haben«, hatte ich erklärt, »kommt der Gerichtsdiener mit einer Bibel.«
»Ich brauche keine.«
»Klar. Aber Sie müssen darauf schwören.«
»Ich will auf ein Comicheft schwören«,
hatte Shay erwidert. »Oder ein Playboy-Heit.«
»Sie müssen auf die Bibel schwören«,
hatte ich gesagt, »weil wir uns an die Regeln halten müssen, ehe wir das Spiel
verändern dürfen.«
In diesem Augenblick war der US-Marshal
wieder hereingekommen, um mir zu sagen, dass die Verhandlung weiterging.
»Denken Sie dran«, hatte ich zu Shay gesagt, »konzentrieren Sie sich nur auf
mich. Alles andere im Gerichtssaal ist nicht von Belang. Allein unser Gespräch
zählt.«
Er hatte genickt, aber ich konnte sehen,
dass er nervös war. Und jetzt, als ich zusah, wie er in den Saal geführt wurde,
konnten es auch alle anderen sehen. Er trug Hand- und Fußfesseln, die mit
einer Kette um den Bauch verbunden waren. Die Ketten rasselten, während er zu
seinem Platz neben mir schlurfte. Er hatte den Kopf gesenkt, und er murmelte
Worte, die außer mir niemand hören konnte. Er fluchte über einen der beiden
Marshals, die ihn hereingeführt hatten, aber wenn wir Glück hatten, würden die
Leute annehmen, er bewege die Lippen lautlos im Gebet.
Sobald ich ihn in den Zeugenstand gerufen
hatte, senkte sich eine Totenstille über den Zuschauerraum. Du bist nicht wie wir, schien
ihre Ruhe zu sagen. Und
das wirst du nie sein. Und
da hatte ich, ohne auch nur eine einzige Frage gestellt zu haben, meine Antwort:
Keine noch so große Frömmigkeit konnte den Makel an den Händen eines Mörders
auslöschen.
Ich trat vor Shay und wartete, bis er
mich ansah. Konzentration, formte ich lautlos mit den Lippen, und er nickte. Er umfaßte das
Geländer vor sich, und seine Ketten klirrten.
Mist. Ich hatte vergessen, ihm zu sagen,
er solle die Hände auf dem Schoß lassen. So würden Richter und Zuschauer nicht
unentwegt daran erinnert, dass er ein verurteilter Straftäter war.
»Shay«, sagte ich, »warum wollen Sie Ihr
Herz spenden?«
Er blickte mich direkt an. Braver Junge.
»Um sie zu retten.«
»Wen?«
»Ciaire
Nealon.«
»Schön und gut«, sagte ich. »Aber Sie
sind nicht der einzige Mensch auf der Welt, der Ciaire retten kann. Es gibt
andere geeignete Herzspender.«
»Ich bin derjenige, der ihr am meisten
weggenommen hat«, sagte Shay, genau wie wir es geprobt hatten. »Ich habe ihr am
meisten zurückzugeben.«
»Geht es darum, Ihr Gewissen zu
reinigen?«, fragte ich.
Shay schüttelte den Kopf. »Es geht darum,
etwas wiedergutzumachen.«
So weit, so gut, dachte ich. Er klang vernünftig und klar und ruhig.
»Maggie?«, sagte Shay plötzlich. »Kann
ich jetzt aufhören?« Ich lächelte verkrampft. »Noch nicht ganz, Shay. Ich habe
noch ein paar Fragen.«
»Die Fragen sind Schwachsinn.«
Ein Keuchen ertönte in den hinteren
Zuschauerreihen - vermutlich eine von den blauhaarigen Ladys, die ich mit
ihren in selbst gesteppte Schutzhüllen eingewickelten Bibeln unterm Arm in den
Saal hatte trippeln sehen und denen bestimmt seit zwanzig Jahren kein
Schimpfwort mehr zu Ohren gekommen war. »Shay«, sagte ich, »solche Wörter haben
in einem Gerichtssaal nichts verloren. Erinnern Sie sich?«
»Ja, ich erinnere mich«, sagte er. »Wir
sind ja hier nicht auf dem Fußballplatz. Aber einen Gewinner und einen
Verlierer gibt es trotzdem, es hat bloß nichts damit zu tun, wie gut du
spielst.« Er blickte Richter Haig an. »Ich wette, Sie spielen Golf.«
»Ms Bloom«, sagte der Richter. »Rufen Sie
Ihren Zeugen zur Ordnung.«
Wenn Shay nicht aufhörte, würde ich ihm
persönlich den Mund zuhalten. »Shay, erzählen Sie mir von Ihrer religiösen Erziehung
in der Kindheit«, sagte ich resolut.
»Religionen sind Sekten. Du wählst deine
Religion nicht selbst aus. Du bist, was deine Eltern dir sagen. Das hat nichts
mit Erziehung zu tun, das ist Gehirnwäsche. Wenn einem Baby bei der Taufe
Wasser über den Kopf gegossen wird, kann es nicht sagen: >He, Mann, ich
möchte lieber Hindu sein<, oder?«
»Shay, ich weiß, das hier ist schwer für
Sie, und ich weiß, dass es verwirrend für Sie ist, hier zu sein«, sagte ich.
»Aber Sie müssen mir gut zuhören, und meine Frage beantworten. Sind Sie als
Kind zur Kirche gegangen?«
»Manchmal. Und manchmal bin ich
nirgendwohin gegangen und hab mich nur im Schrank versteckt, damit ich
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