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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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Bohnensaft.
    Biff dachte auch an den Tod. Eines Tages passierte ihm etwas Merkwürdiges: Er fand beim Herumstöbern im Badezimmerschrank eine Flasche Agua Florida, die er übersehen haben musste, als er die von Alice hinterlassenen Toilettenartikel zu Lucile gebracht hatte. Nachdenklich hielt er den Flakon in den Händen. Vier Monate waren nun seit ihrem Tod verstrichen – und jeder Monat erschien ihm so lang und so reich an Mußestunden wie ein ganzes Jahr. Er dachte nicht oft an sie.
    Biff zog den Stöpsel aus der Flasche. Er stand ohne Hemd vor dem Spiegel und betupfte seine dunkel behaarten Achselhöhlen mit dem Parfüm. Als er den Duft roch, erstarrte er. Er warf einen verstohlenen Blick auf sein Spiegelbild und blieb reglos stehen. Er war wie betäubt von den Erinnerungen, die mit dem Parfüm über ihn kamen, nicht weil sie so lebendig waren, sondern weil er auf einmal all die langen Jahre als ein abgeschlossenes Ganzes sah. Biff rieb sich die Nase und sah sich von der Seite an. Die Schwelle zum Tod. Er spürte jede Minute, die er mit ihr zusammen verlebt hatte. Und nun war ihr gemeinsames Leben vollendet, wie nur etwas Vergangenes vollendet sein kann. Mit einem Ruck wandte Biff sich ab.
    Das Schlafzimmer war renoviert. Nun war es ganz und gar sein Zimmer. Früher hatte es schäbig, schmuddelig und irgendwie abgeschmackt gewirkt. Ewig hatten Strümpfe und löchrige rosa Kunstseidenschlüpfer mitten im Zimmer auf einer Leine zum Trocknen gehangen. Das Metallbett hatte abgeblätterte und rostige Stellen, und fleckige Spitzenkissen lagen darauf herum. Am Toiletteneimer pflegte die magere Katze aus dem Erdgeschoss traurig ihren Buckel zu reiben.
    Er hatte das Zimmer von Grund auf umgestaltet. Aus dem Metallbett wurde eine Schlafcouch. Den Fußboden bedeckte ein dicker, roter Teppich, und die schlimmsten Risse in der Wand hatte er mit schönem blauschimmerndem Stoff verkleidet. Der Kamin wurde wieder benutzt, und immer waren Kiefernscheite darin aufgeschichtet. Über dem Sims hingen ein kleines Foto von Baby und das bunte Bild eines kleinen Jungen im Samtanzug, der einen Ball in den Händen hielt. Eine Eckvitrine enthielt die von Biff gesammelten Kuriositäten: einige seltene Schmetterlinge, eine Pfeilspitze, einen merkwürdigen Stein, der wie ein menschliches Profil geformt war. Auf der Couch lagen blauseidene Kissen; außerdem hatte er sich Luciles Nähmaschine ausgeliehen und selber dunkelrote Fenstervorhänge genäht. Er liebte dieses Zimmer. Es wirkte luxuriös und beruhigend auf ihn. Auf dem Tisch stand eine kleine japanische Pagode, deren Glasbehang bei jedem Luftzug seltsam melodiös klimperte. In diesem Zimmer gab es nichts, was ihn an sie erinnerte. Aber oft zog er den Stöpsel aus dem Flakon, um sich Ohrläppchen oder Handgelenke mit Agua Florida zu betupfen. Der Duft verschmolz mit seinen Erinnerungen. Die Vergangenheit wurde immer stärker in ihm. In geradezu architektonischer Ordnung formierten sich die Erinnerungen in ihm. In einem Kasten mit Andenken stieß er auf alte Bilder aus der Zeit vor ihrer Hochzeit. Alice auf einer mit Gänseblümchen übersäten Wiese. Alice und er in einem Kanu auf dem Fluss. Unter den Andenken fand sich auch eine große, beinerne Haarnadel, die seiner Mutter gehört hatte. Als kleiner Junge hatte er besonders gern zugesehen, wenn sie sich kämmte und ihr langes, schwarzes Haar hochsteckte. Solche Haarnadeln, meinte er damals, hatten die gleiche Form wie die Figur einer Dame, und manchmal hatte er mit ihnen gespielt wie mit Puppen. Damals hatte er auch eine Zigarrenkiste voller Stoffreste besessen. Er liebte es, schöne bunte Stoffe zu betasten und anzuschauen, und oft hockte er stundenlang mit seinen Flicken unter dem Küchentisch. Als er sechs Jahre alt war, nahm die Mutter sie ihm fort. Sie war eine große, kräftige Frau mit einem männlich anmutenden Pflichtbewusstsein. Er war ihr Liebling gewesen. Noch jetzt träumte er manchmal von ihr, und ihren abgewetzten Trauring nahm er niemals vom Finger.
    Außer dem Agua Florida fand er im Badezimmerschrank eine Flasche Zitronenwasser, mit dem Alice ihr Haar behandelt hatte. Eines Tages probierte er es selber aus. Das Zitronenwasser machte sein dunkles, mit weißen Strähnen durchzogenes Haar fülliger und lockerer. Er musterte das Öl aus, das er bisher gegen seinen Haarausfall verwendet hatte, und rieb sich jetzt regelmäßig den Kopf mit dem Zitronenwasser ein. Er übernahm gewisse Angewohnheiten, die er bei Alice

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