Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
Gedanken sah er ihn nackt: die Haut rotbraun gebrannt, das Gesicht glatt und bartlos, einen juwelenbesetzten Goldreif am Unterarm. Wenn er sich den Mann mit geschlossenen Augen so vorstellte – keinen schlechten Inka würde er abgeben. Aber das Bild löste sich auf, als er ihn wieder ansah. Der zuckende Schnurrbart stimmte nicht, auch seine Art, mit den Schultern zu rucken, dann der Adamsapfel an seinem mageren Hals und die ausgebeulten Hosen. Auch anderes stimmte nicht.
»Oder vielleicht so um 1775.«
»Ja, das war ’ne gute Zeit«, gab Biff zu.
Blount schuffelte verlegen mit den Füßen. Er sah abweisend und unglücklich aus. Gleich würde er gehen. Biff war entschlossen, ihn aufzuhalten. »Sag mal, wieso bist du eigentlich hier in die Stadt gekommen?« Er merkte, dass seine Frage unhöflich war; er war unzufrieden mit sich. Aber es war wirklich sonderbar, dass es diesen Mann ausgerechnet hierhin verschlagen hatte.
»Weiß der Himmel – ich weiß es nicht.«
Ein Weilchen standen sie an die Theke gelehnt und sagten nichts. Die Männer in der Ecke hatten aufgehört zu würfeln. Das erste Mittagessen – das Tagesgericht mit Long-Island-Ente war dem Geschäftsführer des A&P -Ladens serviert worden. Das Radio war nicht richtig eingestellt, die Sonntagspredigt wurde von einer Swingband übertönt.
Plötzlich beugte Blount sich vor und schnupperte an Biffs Gesicht.
»Parfüm?«
»Rasierwasser«, sagte Biff gelassen.
Blount war nicht länger zu halten. Der Mann wollte gehen. Später würde er mit Singer wiederkommen. So war es immer. Er hätte Blount gern einmal wirklich ausgefragt, um sich über gewisse Dinge klarzuwerden. Aber Blount würde nie auspacken – außer bei dem Taubstummen. Verrückte Sache.
»Danke für die Zigarre«, sagte Blount. »Bis nachher.«
»Wiedersehn.«
Biff sah Blount in seinem wiegenden Seemannsgang zur Tür gehen. Dann wandte er sich seinen Pflichten zu. Er inspizierte die Auslage im Fenster. Die Speisekarte war ausgehängt, und als Anreiz war das Tagesmenü mit allen Beilagen ausgestellt. Es sah nicht schön aus. Sogar ziemlich unappetitlich. Die Entensauce war in die Preiselbeeren gesuppt, und in der Nachspeise schwamm eine Fliege.
»He, Louis!«, rief er. »Nimm das Zeug aus dem Fenster. Und bring mir die rote Tonschale und ein paar Früchte.«
Er arrangierte die Früchte mit viel Geschmack nach Form und Farbe. Endlich fand die Fensterdekoration seinen Beifall. Er warf einen Blick in die Küche und plauderte mit dem Koch. Er lüftete die Topfdeckel und schnupperte an jedem Gericht, aber ohne echtes Interesse. Das war immer Alices Aufgabe gewesen. Ihm war so etwas lästig. Beim Anblick des fettigen Spülbeckens mit all den Essensresten darin rümpfte er die Nase. Er schrieb die Speisekarte für den nächsten Tag und notierte die notwendigen Einkäufe. Er war froh, die Küche wieder verlassen und seinen Posten an der Registrierkasse einnehmen zu können.
Lucile und Baby kamen zum Sonntagsessen. Die Kleine sah jetzt nicht mehr so niedlich aus. Sie trug immer noch den Kopfverband, den der Arzt erst im nächsten Monat abnehmen wollte. Mullbinden verdeckten ihre blonden Löckchen, ihr Kopf wirkte ganz kahl.
»Sag Onkel Biff guten Tag, Herzchen«, drängte Lucile.
Baby fügte sich maulend. »Onkel Biff, guten Tag, Herzchen«, sagte sie frech.
Als Lucile ihr den Sonntagsmantel ausziehen wollte, wehrte sie sich heftig. »Also, jetzt benimm dich«, sagte Lucile immer wieder. »Du ziehst ihn aus, sonst kriegst du eine Lungenentzündung, wenn wir wieder rausgehn. Also, benimm dich.«
Biff rettete die Situation. Er stopfte Baby mit einem Gummibonbon den Mund, und sie ließ sich ohne Widerrede den Mantel abnehmen. Bei dem Kampf mit Lucile war ihr Kleidchen verrutscht. Biff zog es glatt, so dass die Passe wieder gerade über der Brust saß. Er band ihr die Schärpe und zupfte den Knoten schön zurecht. Dann gab er Baby einen Klaps auf ihr kleines Hinterteil. »Heute gibt’s Erdbeereis«, verkündete er.
»Bartholomew, du hätt’st ’ne mächtig gute Mutter abgegeben.«
»Danke«, sagte Biff. »Sehr schmeichelhaft.«
»Wir kommen grad aus der Sonntagsschule. Baby, sag den Bibelvers auf, den du für Onkel Biff gelernt hast.«
Die Kleine räkelte sich auf ihrem Stuhl und zog eine Schnute. »Jesus hat geweint«, sagte sie schließlich. Sie legte eine solche Verachtung in die Worte, dass es sich ganz schrecklich anhörte.
»Willst du Louis guten Tag sagen?«, fragte Biff. »Er
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