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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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lächerlich gefunden hatte. Warum?
    Jeden Morgen brachte ihm der farbige Küchenjunge Louis eine Tasse Kaffee ans Bett. Oft saß er vor dem Aufstehen und Anziehen noch eine Stunde im Bett, den Rücken von Kissen gestützt, rauchte eine Zigarre und betrachtete die Sonnenflecken an der Wand. In Gedanken versunken, kratzte er sich mit dem Zeigefinger zwischen den langen, krummen Fußzehen und gab sich seinen Erinnerungen hin.
    Von mittags bis fünf Uhr morgens arbeitete er dann unten im Restaurant, und sonntags den ganzen Tag über. Das Geschäft ließ nach. Es gab viele tote Stunden. Nur zu den Mahlzeiten war das Lokal gut gefüllt; von seinem Posten an der Registrierkasse sah er täglich Hunderte von Bekannten.
    »Wie kannst du bloß immer so rumstehen und sinnieren?«, fragte Jake Blount. »Siehst aus wie ’n Jude in Deutschland.«
    »Hab ja auch ein Achtel jüdisches Blut«, antwortete Biff. »Der Großvater meiner Mutter war ein Amsterdamer Jude. Sonst aber ist meine ganze Familie schottisch-irisch, soviel ich weiß.«
    Es war Sonntagmorgen. Die Gäste fläzten auf ihren Stühlen, die Zeitungen raschelten, und es roch nach Tabak. In einer Nische wurde gewürfelt, es war ein ruhiges Spiel.
    »Wo steckt denn Singer?«, fragte Biff. »Gehst du heut Vormittag zu ihm rauf?«
    Blounts Miene wurde finster und mürrisch. Mit einem Ruck stieß er den Kopf vor. Hatten sie sich gezankt? Konnte sich ein Taubstummer überhaupt zanken? Doch, das war schon öfter vorgekommen. Dieser Blount hatte manchmal so eine Art, herumzulungern und sich so zu benehmen, als läge er mit sich selber in Streit. Aber nun ginge er wohl bald, und später würden sie gemeinsam wiederkommen, und Blount würde auf ihn einreden.
    »Hast doch ’n schönes Leben. Bloß hinter der Registrierkasse stehn und die Hand aufhalten.«
    Biff nahm ihm das nicht krumm. Er stützte die Ellenbogen auf und sah Blount mit zusammengekniffenen Augen an. »Sollten mal ’n ernstes Wort miteinander reden. Was willst du eigentlich?«
    Blount ließ seine Hände auf die Theke knallen. Sie waren rot, fleischig und rissig. »Bier. Und einmal Käsecracker mit Erdnussbutter.«
    »Das mein ich nicht«, sagte Biff. »Na, wir kommen später darauf zurück.«
    Der Mann war ihm ein Rätsel. Ständig war er wie ausgewechselt. Saufen tat er immer noch wie ein Loch, aber der Schnaps brachte ihn nicht herunter wie andere Leute. Oft waren seine Augenlider entzündet, und er hatte so eine komische Art, sich nervös erschreckt umzusehen. Sein Kopf war für den mageren Hals zu schwer und zu groß.
    Er war so einer, über den die Kinder lachen und den die Hunde beißen. Aber wenn man ihn auslachte, kränkte ihn das sehr. Dann wurde er grob und laut und hatte etwas von einem Clown. Und er unterstellte immer, dass man über ihn lachte.
    Biff schüttelte nachdenklich den Kopf. »Hör zu«, sagte er. »Was hält dich eigentlich auf dem Rummelplatz? Könntest doch was Besseres finden. Könntest sogar hier bei mir halbtags arbeiten.«
    »Gott bewahre! Hinter der Kasse hocken? Das tu ich nicht – und wenn du mir das ganze verdammte Lokal mit allem Drum und Dran schenkst.«
    So war er. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren. So einer konnte keinen Freund haben, nicht einmal mit den Leuten auskommen konnte der.
    »Im Ernst«, sagte Biff, »sei doch vernünftig.«
    Ein Gast kam mit seinem Bon an die Kasse, und Biff gab ihm heraus. Im Lokal war noch nicht viel los. Blount hatte keine Ruhe. Biff spürte, wie es ihn fortzog. Er hätte ihn gern aufgehalten. Er nahm zwei gute Zigarren aus dem Regal hinter der Theke und bot Blount eine an. Nachdem er in Gedanken mehrere Gesprächsthemen durchgespielt und wieder fallengelassen hatte, fragte er schließlich:
    »Wenn du dir aussuchen könntest, in welchem historischen Zeitalter du leben möchtest – welches würdest du wählen?«
    Blount fuhr sich mit seiner breiten, feuchten Zunge über den Schnurrbart. »Wenn du dir aussuchen könntest, nie wieder eine Frage zu stellen oder auf der Stelle tot umzufallen – was würdest du wählen?«
    »Ja, ja – aber denk doch mal drüber nach.«
    Den Kopf zur Seite gelegt, schielte er über seine lange Nase weg. Solche Sachen hörte er gern von anderen Leuten. Für ihn wäre es das alte Griechenland. In Sandalen am Ufer der blauen Ägäis wandeln. Lockere, um die Hüften gebundene Gewänder. Kinder. Marmorbäder. Besinnliche Stunden im Tempel. »Vielleicht bei den Inkas. In Peru.«
    Biff musterte Blount von oben bis unten; in

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