Das Herz ist eine miese Gegend
Giovanni selbst bei der Kolorierung nachhelfen. Sie sprachen nicht viel. Giovanni schrieb noch zwei Gedichte, aber nur das erste, das aus dem Zug, wollte er Laura zeigen. Wenn sie nur endlich wiederkäme.
Er half seinem Vater im Garten. Freiwillig. Er selbst hatte sich angeboten, als er sah, wie der Vater vom Essen aufstand und sich mit einem leisen Stöhnen an den Rücken griff. In den letzten Tagen, wenn Giovanni schweigend neben Ilse auf der Mauer gesessen hatte, waren ihm Gedanken gekommen, die sich zu einem warmen Gefühl für seinen Vater verdichtet hatten. Er wollte ihm etwas schenken. Sein Vater hatte nicht gelacht, konnte nicht gelacht haben. Und falls doch, dann würde er heute genauso sagen »Mein Gott, ich hoffe nicht.«
Aus den Augenwinkeln betrachtete er ihn, und was er sah, war ein zarter, melancholischer Mann, der in seinem Leben gestört worden war. Ein Mann, der Bilder von Paul Klee liebte und sich in diesem Garten eine Heimat graben wollte. Graben und schneiden und harken und roden.
»Deine Laura ist eine nette«, sagte dieser Mann sogar, denn auch er war gerührt vom überraschenden Hilfsangebot seines sonst so verschlossenen Jüngsten.
Giovanni wollte gerade antworten, als seine Mutter von der Terrasse aus rief: »Besuch für dich.«
Er schaute hinunter, und in der Glastür stand Laura. Er warf den Haufen Äste, den er eben zur Feuerstelle hatte tragen wollen, von sich und rannte über die Steinplatten, so daß er fast gestolpert wäre. Laura hatte die Haare, die jetzt noch blonder aussahen, zu einem Pferdeschwanz gebunden, und ein kleines, hellgraues Bündel, das auf ihren Armen saß, versuchte diesen Pferdeschwanz zu fangen. Freddie. Giovannis Mutter strahlte.
Er umarmte sie beide und küßte Laura auf den Mund, ohne sich zu fragen, was seine Eltern dazu sagen könnten. Er küßte Freddie zwischen die Ohren und hörte, wie der Katz schnurrte.
Hinter Laura stand Herr Ohlenburg. Er begrüßte Giovanni, hatte es aber eilig, wieder wegzukommen. Giovanni wußte, warum. Bliebe er, dann würde er Giovannis Komplize bei all den Lügen, die jetzt unweigerlich folgen mußten.
»Giovanni kann dich ja nach Hause begleiten«, sagte er zu Laura, winkte Giovannis Vater zu und rief: »Muß gleich los.«
»Darf Giovanni ihn haben?« fragte Laura seine Mutter. »Ich hab ihn Freddie getauft.«
»Freddie«, sagte Giovanni, als fragte er sich, ob das der passende Name sei, und seine Mutter sagte: »Natürlich wollen wir den. So ein süßes Vieh.«
Da legte Laura ihr den Kater in die Arme, und der betörte sie augenblicklich, indem er ihren Ohrring fing.
ACHT
Im Klo des Jazzkellers stand »Auch Nixon tut wixon«. Das Blaupunkt-Radio zog um und spielte fortan hauptsächlich »Stars und Hits« und die »Mittwochsparty«. Statt seiner stand im Wohnzimmer jetzt ein Wega. Das Wega-Radio wußte zuerst, daß Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjähren. Eine Sache, die man Spitze fand, nannte man »Wahnsinn«.
Ilse war nicht mehr allein. Bei einem Auftritt von Red House hatte ihn die Freundin des Sängers von der Lightshow weg nach draußen in den Bandbus gezogen. Dort löste sie in einer halben Stunde all das ein, was die Filme im Museum versprochen hatten. Sie gingen zum Fluß, stahlen einen Stocherkahn, legten weit flußaufwärts wieder an, und in dem schaukelnden Kahn löste sie ein, was damals ein Film, auch einer ab achtzehn, nicht zu versprechen gewagt hätte.
Am nächsten Tag hörte Ilse, daß eines der Dias, aus denen die Lightshow von Red House bestand, verbrannt war. Und dann der Projektor, da man die Flammen zuerst nicht bemerkt hatte. Er wandte sich vom Rockgesang ab und wieder der bildenden Kunst zu, holte die Puppenteile vom Speicher und lackierte sie alle weiß. Nicht ein einziges Mal war ein Sänger krank geworden, und Gitte, so hieß seine Freundin, wollte zur Kunstakademie. Ein paar Puppenköpfe, Arme und Torsi fehlten noch in ihren Collagen.
Ilse hieß außerhalb der Schule wieder Roger. Allerdings wurde sein Name jetzt englisch ausgesprochen. Wie Roger Daltrey.
Giovanni bezog Norberts Zimmer im unteren Teil des Hauses. Norbert war jetzt in Berlin und verbrachte sein erstes Semester damit, gegen das Hochschulrahmengesetz zu protestieren. Das alte Radio durfte Giovanni mitnehmen, da die Eltern gefunden hatten, ein Radio, bei dem die Stationen »Mährisches Ostreich«, »Königsberg« und »Danzig« hießen, sei fürs Wohnzimmer nicht mehr tragbar. Er stellte es ans
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