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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Freunden.«
    »Feste Freunde?« fragte Bo.
    »Feste Freunde«, antwortete Gundi.
    Still und plötzlich seltsam ungerührt gingen sie zu Gundis Ente. Bo und Giovanni ließen die beiden Mädchen allein fahren und beschlossen, die fünf Kilometer nach Hause zu Fuß zu gehen.
    Giovanni küßte Margaux und dann Gundi, deren Verhalten ihm jetzt abweisend und ein bißchen ängstlich erschien.
    »Danke«, sagte er, und die Mädchen stiegen ein.
    Sie sahen den Rücklichtern nach, bis die um eine Kurve verschwanden, lauschten dem Geräusch des Motors, bis es vom Rauschen der Bäume verschluckt wurde, und machten sich dann selbst auf den Weg durch den Wald.
    »Können zwei dasselbe träumen?« fragte Giovanni.
    »Das war schon echt«, antwortete Bo versonnen. »Man erkennt es daran, daß es für einen Traum zu abgefahren ist.«
    »Far out«, sagte Giovanni, »das heißt far out.«
    »Ich kann kein Englisch«, sagte Bo, und sie trotteten schweigend nebeneinander her.
    Mit den Gedanken an Laura mischte sich auch das schlechte Gewissen in Giovannis Verwirrung. Daß es ohne Liebe so schön sein konnte, hätte er nicht gedacht. Daß er Laura betrogen hatte, daß es ihr weh tun mußte, so wie ihm das mit Bo und ihr weh getan hatte, daß ihr Bild, ihre Stimme, ihr Geruch, ach einfach alles von ihr gerade so weit weg war, auch in ihm so weit entfernt, beschämte ihn. Die Scham war die eine Seite, das begeisterte Staunen über den eben erlebten Gong die andere. Und zu dieser anderen Seite gesellte sich noch die Ahnung, auch Laura könne so etwas erleben, auch für sie könne er so weit weg, so blaß, so unwichtig sein wie sie im Augenblick für ihn, und, schlimmer noch, die Vorstellung, mit Bo könne es ihr so ergangen sein wie ihm mit Gundi. Es herrschte Chaos in seinen Gedanken. Sie lösten einander ab ohne Reihenfolge, ohne Beziehung, und es gelang ihm nicht, ein Ereignis unter ein anderes zu ordnen. Er fand keine Haupt- und Nebensachen mehr, keine Titel, Untertitel, Verse und Refrains in dem, was ihm geschah.
    »Wie findest du den Satz >Der Gong, der die ganze Welt zum Mittagessen ruft    »Tja«, murmelte Bo, »muß Poesie sein, ich versteh’s nicht.«
    »Arsch.«
    »Arsch versteh ich, Arsch ist keine Poesie.«
    Seltsam, sie sprachen kein Wort mehr über die Szene am See und fühlten sich doch einander verbunden wie vielleicht seit den ersten Monaten ihrer Freundschaft nicht mehr. Das erlösende »Feste Freunde« von Gundi hatte einen so sauberen Schnitt ins Geschehen gemacht, hatte so eindeutig diesen Abend aus jeglichem Zusammenhang genommen, daß allesjetzt schon, nur einen Kilometer davon entfernt, Erinnerung war. Dieser Erinnerung hingen sie beide nach, bis sich ihre Wege trennten.
    Er hörte »Suzanne« wieder und wieder und stellte fest, daß Laura noch immer darin saß. Und so, wie sie in dem Lied saß, den Kopf halb abgewandt, mit Glanz von der Sonne im Haar, liebte er sie und wünschte, sie wäre wieder da. Und war doch froh, daß sie jetzt gerade fort war.
    Und endlich kam der erste Brief von ihr. Als hätte sie gewußt, daß er dringend ihrer Absolution bedurfte, schrieb sie darin, er solle keinen allzu großen Bogen um das Glück machen. Er sei ihr keine Askese schuldig, und sie habe noch etwas gutzumachen. Ein Jahr sei lang, und falls es weh täte, täte es eben weh. An ihrer Liebe jetzt würde es nichts ändern, das spüre sie genau, und für ihre Liebe dann könne sie heute noch nicht garantieren. Auch von ihm erwarte sie keine Garantie, aber sie hoffe und ersehne sich, daß er sie mit Haut und Haaren wiederhaben wolle und mit Haut und Haaren wiederbekomme.
    Das ist keine versteckte Bitte an Dich, irgendwelche Seitensprünge von mir zu verzeihen, schrieb sie am Ende des Briefes, ich bin nicht scharf aufJungs. Ich liebe Dich, wir werden sehen, Deine Laura.

 
SECHZEHN
    Jeder war ein Außenseiter. Wer kein Außenseiter war, gehörte nicht dazu. Man erkannte den Außenseiter am Habitus, aber es gab auch Ausnahmen. Solschenizyn war ein Außenseiter, trotz Krawatte, und wer weiß, vielleicht war auch Salvador Allende einer.
     
    Ilse hatte es nicht geschafft, seinen männlichen Namen Roger durchzusetzen. Daß er Ilse gerufen wurde, blieb eine so beliebte Nachricht, daß ihn dieser Name überall einholte.
    Inzwischen lebte er mit einem Ehepaar in dessen Villa etwas außerhalb der Stadt. Er schlief mit beiden, der Frau und dem Mann, gemeinsam und einzeln. Es sei sehr schön,

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