Das Herz ist eine miese Gegend
fragte sie ihn aus, was er tue, interessierte sich für seine Gedichte und sagte, sie wolle sie lesen, wenn sie zurück sei. »Aber ob du dann noch welche schreibst?«
Unterwegs kauften sie Brötchen und eine Tüte Milch, denn Sabine wollte nirgendwo frühstücken. Sie gingen den Fluß entlang bis zum Wehr, dann wieder aufwärts, bis die Häuser aufhörten, und als sie wieder bei der Brücke ankamen, war es endlich kurz vor neun, und Giovanni konnte losgehen in Richtung Institut.
Jemand hatte den beiden bronzenen Athleten vor dem Audimax Unterwäsche angezogen. Der Mann trug eine gerippte Unterhose, die Frau Slip und BH. Es sah toll aus, aber Giovanni schielte neben und hinter seinen Weg und fragte sich, ob jemand Pauls Tür im Auge habe. Aber sie konnten ja nicht jeden Studenten verfolgen, der aus seinem Büro käme, also tat er besser nicht so schuldbewußt, damit nicht ein heller Kopf noch auf ihn aufmerksam würde. Heller Kopf, haha, dachte er. Es war nicht mehr üblich, an helle Köpfe im Polizeidienst zu glauben.
Pauls Büro war verschlossen, aber bald kam er den Gang entlang gehastet, machte Giovanni ein Zeichen, daß er nicht reden solle, und öffnete die Tür.
»Ihre Arbeit«, sagte er, im Zimmer angekommen, »sollte in zwei Wochen bei mir vorliegen. Längeren Aufschub kann ich Ihnen nicht geben.«
Nachdem er die Tür geschlossen hatte, zog er einen Briefumschlag aus der Tasche und gab ihn Giovanni. Er zeigte auf seine Ohren und machte eine Gebärde der Unsicherheit.
Giovanni nickte, steckte den Umschlag ein und sagte: »Also in zwei Wochen. Vielen Dank.«
»Wenn Sie wollen, reden wir heute mittag noch ausführlicher darüber, jetzt hab ich leider keine Zeit«, sagte Paul. »Holen Sie mich doch gegen halb eins hier ab.«
»Ja, gern«, sagte Giovanni und schloß die Tür hinter sich.
Es war, als könne er sich auf den eigenen Gang nicht mehr verlassen, als seien seine Schritte unsicher und wacklig. Der Flur hatte Augen und Ohren. Giovanni erschrak darüber, wie beschwerlich die alltäglichsten Verrichtungen werden, wenn man sich beobachtet glaubt. Der Flur war völlig leer.
Der Umschlag wog schwer in der Jackentasche, und er war froh, ihn endlich an der Brücke in Sabines Tasche legen zu können. Heiße Ware, dachte er, so fühlt sich heiße Ware an.
Er brachte sie noch zum Bahnhof und wartete mit ihr auf den nächsten Zug in Richtung Frankreich. Bevor sie einstieg, küßte sie ihn auf die Wange und sagte: »Danke.« Er winkte, bis er ihren Arm, der noch eine Weile aus dem Zugfenster ragte, nicht mehr sah.
»Obwohl sich der Staat widerlich aufführt«, sagte Paul am Mittag in der Platanenallee, »widern mich die Kunolt und Konsorten viel mehr an. Krieg gegen den Staat zu führen! Ich könnte diese grausamen Idioten mitsamt ihren Nachplapperern eigenhändig zu Brei hauen. Zufällig weiß ich nämlich, was Krieg ist, und ich kenne den Faschismus und weiß, daß wir hier keinen haben. Und ich weiß auch, daß man Soldaten nicht mit Bombenwerfen abschafft. So erzeugt man sie.«
Giovanni hatte Mühe, mit Pauls wütendem Schritt mitzuhalten. Diesen Weg, den Fluß entlang, ging er heute zum vierten Mal.
»Ich sag dir das alles, weil ich nicht will, daß du dieses ganze Verschwörergetue toll findest. Es ist nicht toll. Es ist bloß kriminell. Und mir ist schrecklich, daß ich dich da mit hineingezogen habe. Wenn du kannst, sag Laura nichts davon. Ich bitte dich, deine Liebste zu belügen. Ach, ich weiß auch nicht, sag’s ihr, wenn du willst. Ich hoffe, das alles geht gut aus und Sabine kann bald zurück. Am besten wär’s, ihr blöder Jürgen würde geschnappt. Ich würde ihn jedenfalls verpfeifen.«
Paul war so außer sich, daß Giovanni kein Wort sprach. Er ließ ihn reden und nahm sich vor, niemandem, nicht Bo, nicht Ilse, ein Sterbenswörtchen zu sagen. Obwohl er stolz auf sich und Paul war und das Leben wieder spürte. Das echte, gefährliche Leben.
Denn mit Laura war auch das Leben fortgeflogen. Hierher, zu ihm, kam es nur noch zu Besuch. In Gestalt von Gundi und Margaux, die er nicht wiedergesehen hatte, oder jetzt in Sabines Flucht, seinem Beschützer- und Kurierdienst und Pauls Verzweiflung und Wut.
Einige Tage später kam ein Brief aus Amerika, in dem Laura schrieb: Dein Spinnerfreund Bo hat mir seine Haare geschickt. Kannst Du bitte so gut sein und ihm von mir eine runterhauen, aber so, daß es wirklich weh tut? Und ihm ausrichten, daß er seine widerlichen Mätzchen nicht mit mir
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