Das Herz kennt die Wahrheit
sich Darcy zu und wünschte sich von ganzem Herzen, sie ein letztes Mal berühren zu können. "Habt Dank, dass Ihr meine Wunde versorgt habt." Er bückte sich und hob die Waschschüssel und das blutige Leinentuch auf. "Ich bringe die Sachen zurück in die Kombüse."
Als er fort war, schaute Newton Darcy an. Plötzlich sah er das kleine Mädchen vor sich, das Miss Mellon, die alte Kinderfrau, wieder einmal vor dem Essen beim Naschen erwischt hatte.
"Wir sind immer noch zwei oder drei Tage vom Land entfernt. Ich halte es für klüger, wenn wir uns nach dem Ausliefern der Fracht nicht vom Fleck rühren, damit die Mannschaft das Leck am Bug reparieren kann."
Sie nickte. "Gut. Wenn du meinst, Newt."
"Das meine ich." Er senkte die Stimme. "Ich meine auch, dass du mit dem Feuer spielst, Mädchen. Und ich möchte nicht, dass du dich verbrennst."
"Mir … geht es gut, Newt."
Sanft berührte er sie an der Schulter. "Es ist zu früh, Darcy. Dein armes Herz hatte noch keine Zeit zu heilen."
"Vielleicht ist es das, was mein Herz braucht. Ich … mag Gryf und den Jungen."
"Ich leugne auch nicht, dass er ein feiner Kerl ist. Und der Bursche kann sich glücklich schätzen, ihn zum Freund zu haben. Aber ich mache mir Sorgen um dich. Du machst ihn zu jemandem, der er nicht sein kann. In deinem Herzen kann kein Mann den Platz von Gray einnehmen."
"Das verlange ich ja auch gar nicht."
Lange sah er sie an, bevor er ihre Schulter tätschelte. "Das hoffe ich, Mädchen. Das hoffe ich. Zu euer beider Wohl."
Der alte Seemann kehrte sich ab und ging hinaus.
Als er fort war, verschränkte Darcy die Arme vor der Brust, senkte den Kopf und schloss die Augen. Manchmal, wenn Gryf sie küsste, verglich sie seinen Mund tatsächlich mit Grays. Und nicht nur das. Sie verglich seine heisere Stimme mit dem weichen, vertrauten Klang, den sie seit Kindheitstagen kannte, ja selbst seine Berührungen und seinen Geschmack.
Sie fasste sich an die Schläfe, um die Gedanken auszulöschen, die sich in ihr Bewusstsein drängten. Die Gedanken an einen anderen Mann, an eine andere Zeit.
Newton hatte Recht. Es war alles zu viel und zu früh. Doch sie war offenbar nicht in der Lage, sich zurückzuhalten. Sie wollte, dass Gray zurückkehrte. Aber sie wollte auch Gryf. Sie wusste kaum noch, wie ihr geschah. Wie sollte sie jemals diese Gefühlswirren auflösen?
Newton hatte auch in anderer Hinsicht Recht. Wenn sie und Gryf in dieser Weise fortführen, würden sie womöglich beide erneut verletzt werden. Und dieses Mal könnten die Wunden tiefer sein, als ihre ohnehin gebrochenen Herzen ertragen würden.
8. Kapitel
Verbissen stürzte Darcy sich in ihre Arbeit, in die sie sich immer wieder geflüchtet und darin ihr Heil gesucht hatte. Sie glaubte, wenn sie hart und lange genug arbeitete, würde sie ins Bett fallen und zu erschöpft sein, um nachzudenken.
Zu ihrem Leidwesen fand sie auch im Schlaf keine Erleichterung. In ihren Träumen tauchten Gray und Gryf auf. Sie sah Bilder, die sie in der Dunkelheit hochfahren ließen – mit pochendem Herzen und raschem Atem.
Doch die arbeitsreichen Tage und schlaflosen Nächte begannen an ihren Kräften zu zehren. Wie zuvor trieb sie die Besatzung mit ihren Forderungen beinahe zur Verzweiflung. Das Deck war nie sauber genug. Die Segel nie ausreichend geflickt. Die Knoten in der Takelage nie zu ihrer Zufriedenheit entwirrt.
"Land in Sicht, Captain", rief ein Seemann hoch oben aus den Wanten.
Darcy schaute kurz auf, als Newton näher kam.
Wie gewöhnlich vergeudete der alte Mann auch jetzt keine Zeit mit belanglosem Gerede. "Ich weiß, dass du die Zeit aufholen möchtest, die wir durch den Kampf verloren haben, aber ich denke immer noch, es wäre besser, ein paar Tage im Hafen zu liegen, damit die Männer das Leck an Backbord reparieren können."
"Ja. Es macht mir auch Sorgen, Newt. Wir haben zwar kein Wasser im Schiff, doch ich will mir gar nicht ausmalen, was geschehen könnte, wenn wir in einen Sturm geraten."
"Was durchaus möglich ist, Mädchen. Es grenzt an ein Wunder, dass der Winter sich schon so lange nicht mehr von seiner ungemütlichen Seite gezeigt hat." Er schaute zur Besatzung hinüber, die das Schiff klar zum Anlegen machte. "Außerdem können wir uns alle ausruhen. Wir haben es uns verdient."
Darcy schwieg.
Newton senkte die Stimme, damit die Männer nichts mitbekamen. "Das gilt besonders für dich, Mädchen. Du treibst dich selbst zu sehr an. Und die Mannschaft ebenso."
"Mir geht es gut,
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